wird der Film mit dem unspektakulären Titel "NH 10" geführt und geht doch weit über diese marktschreierischen Kategorien hinaus. Im März 2015 kam "NH 10" in die indischen Kinos. Der Regisseur
erzählt darin die Geschichte eines Ehrenmords, bei dem ein junges Ehepaar aus Delhi Zeuge wird.
NH 10 bezeichnet den 485 km langen Highway, auf dem Meera und Arjun die 19 Millionen-Stadt Delhi für einen Wochenend-Trip hinter sich lassen. Es soll die Geburtstagsfeier für Meera werden, für die ihr Mann Arjun eine lauschige Privatunterkunft auf dem Lande besorgt hat. Keine Autostunde von der Stadt entfernt weht ihnen unvermutet ein ganz anderer Wind entgegen.
Ihr schickes Mittelklasseleben -
double income no kids - mit
ihren Parties und ihren noch festen Beziehungen zu ehemaligen Studienkollegen wirkt hier wie aus einem anderen Kontinent. Plötzlich sind nur noch Männer auf der Straße, die mißtrauisch die Fremden beäugen und die ihnen keine Auskunft nach dem Weg geben.
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Filmstill aus "NH 10" |
Auf dem Dorfplatz, wo die beiden etwas resigniert ein Restaurant
aufsuchen, werden sie Zeuge einer Gewaltszene an einem jungen Paar, das
von einer Gang junger Männer in ein Auto geprügelt wird. Keiner greift
ein, obwohl sich alles am helllichten Tag vor aller Augen abspielt -
außer Arjun: Ein folgenschwerer Fehler. Das städtische Indien, in dem eine aufstrebende Mittelklasse in gutbezahlten Jobs mit Aufstiegschancen arbeitet und ein westliches Leben führt, trifft hier auf ein traditionelles Indien, in dem die Kastenzugehörigkeit, die uneingeschränkte Dominanz der Männer und häusliche Gewalt zum gelebten Alltag gehören.
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Filmstill aus "NH 10" |
Meera ist in diesem Ambiente nur ein schlampiges "city girl".
Gegen diese Strukturen aufzubegehren wie sie es in einem verzweifelten
Spießsrutenlauf durch das nächtliche Dorf versucht, ist nicht nur zwecklos, sondern wird mit dem Tod bestraft. Und ähnlich wie sie stolpert man als Zuschauer Stück für Stück in die immer mehr sich lichtenden Zusammenhänge, hinter denen sich ein hermetisch abgeschlossenes System auftut, bei dem jeder seine feste Rolle spielt: Die Polizei nimmt die Anzeige von Meera nicht auf, die Mutter des 'aus Ehre' ermordeten Mädchens billigt die Tat und möchte sie wie die Mörder vertuschen. Die schweigende Mehrheit ist Zeuge hinter verschlossenen Türen,
gleichgültig, abgestumpft oder verängstigt und die Außenseiter zudem selber in Gefahr, zu Opfern zu
werden, wenn sie sich nicht unterordnen.
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Filmstill aus "NH 10" |
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Filmstill aus "NH 10" |
Das entrollt sich teils als
Roadmovie, teils als
crime thriller,
aber es beschreibt ein soziales Drama, das die Ereignisse und Folgen
der Gangvergewaltigung und dem Mord an einer jungen Studentin in
Delhi von 2012 atmosphärisch aufgreift und dazu einen Hintergrund liefert.
Diese Bezüge dürften von einem indischen Publikum noch viel deutlicher
verstanden werden.
Aber was vor allem an diesem Film herausragt, ist der Rachefeldzug einer Frau - Meera als weibliche Actionheldin, die sich nicht zum Opfer machen lässt, die den Blick nicht senkt, wenn sie geschlagen wird, so dass Unterwerfung und Demütigung trotz der Übermacht an Gewalt bei ihr nicht funktionieren.
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Filmstill aus "NH 10" |
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Sie dreht den Spieß um, wird zur Verfolgerin ihrer Verfolger und nimmt sich zum Schluss den
Gangleader
mit unweiblichen Machogesten vor. Das war so noch nie zu sehen und kann
nur als Reaktion auf das
überwätltigende Aufbegehren nach dem Tod der Studentin
verstanden werden, die eine solche Frauenrolle im Kino hervorbringt.
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Filmstill aus "NH 10" |
Alle Filmstills von Ina Zeuch
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