Neben diesen technisch wie inhaltlich komplexen Werken der virtual und augmented reality (Besprechung in Teil 1) zeigt das Frauenmuseum auch die Anfänge von Computerkunst mit Pionierinnen der 1950er und 1970er Generationen von Künstlerinnen - allen voran mit der heute 90-jährigen Rune Mields. Das wirkt neben den Bilderfluten der jüngeren Kunst geradezu erholsam. Hier herrschen Zeichnungen und Tafelbilder vor, deren stringente Kompositionen jeglichen Überfluss verbieten. Bar von subjektivem Meinen und Fühlen deklinieren diese Werke eine einmal gestellte Aufgabe geradezu analytisch, wie der zum Beispiel, wie aus einem einzigen Dreieck komplexe Formen entstehen. Wie elegante geometrische Statuen oder Säulen lässt Rune Mields sie emporwachsen.
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Rune Mields |
Ihr wird in dieser Ausstellung gleich mit mehreren
Werkreihen zu Recht viel Präsenz eingeräumt. Ähnlich verraten auch die Titel
ihrer Arbeiten ihr Hauptanliegen. So zeigt sie in "Die Ordnung der Zeichen" Grundformen
wie Kreis, Raute, Quadrat und Strich - ebenfalls Hochformate. Dabei lässt sie alle 'Körper' mit dem Balken mal durchkreuzen, mal unterteilen. Damit entstehen neue
Teilkörper, die als weitere Dreiecke wieder ein Quadrat und /oder eine Raute
ergeben. Einzig der Kreis schrumpft in seine Essenz zu einem Punkt zusammen.
Zwei abweisende Großformate in Weiß und Bleigrau zeigen zwei
auf Aluminium geprägte Botschaften. "Der unendliche Raum dehnt sich aus" und "Der endliche Raum ist unbegrenzt".
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Rune Mields: "Der endliche Raum ist unbegrenzt" |
Im "Das Sieb des Eratosthenes" sieht man in der oberen Werkreihe eine willkürlich anmutende Verteilung von weißen Punkten auf schwarzem Grund, die sich nach und nach in der mittleren und unteren Reihe zu einem geordneten System formieren. Man kann diese Arbeit auch von unten nach oben lesen und erleben, wie ein strenges Ordnungssystem sich auflöst in Punkten. In diesem Sinne ist der endliche Raum tatsächlich unbegrenzt, wenn er sich in Punkte auflöst, die man beliebig fortsetzen kann.
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Rune Mields: "Das Sieb des Eratosthenes" |
Auch die präzise Technik der Arbeit - Tuschezeichnung auf
Leinwand - besticht, an der sie von 1977 bis 1992 gearbeitet hat. Eratosthenes - ein griechischer Gelehrter, der sich als Mathematiker, Historiker und Geograph betätigte - gestand der Poesie keinen Wahrheits- und Erkenntnisgehalt zu. Mir scheint, dass das Anliegen der hier gezeigten Künstlerinnen, deren Bildsprache nüchtern und analytisch ist, genau das anstreben: Sich mit relevantem Wissen und Erkenntnis zu verbinden und dem mit möglichst objektiver Haltung künstlerischen Ausdruck zu verleihen.
Eine weitere Pionierin der frühen Computerkunst ist die 2023 verstorbene Vera Molnar. In ihrem 25-teiligen Werk auf Leinwänden ahnt man das Quadrat, dass sich aber immer wieder in neuen 'Fehlerkombinationen' nicht zu einem Quadrat formieren mag. Die vom Rot ausgesparten Teile lassen die Form erahnen, zeigen sie jedoch nie ganz. Diese durchkomponierten 'Fehlerquoten' ergeben ein reizvolles Spiel mit Formen und wirken fast musikalisch wie eine visuelle Fuge.
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Vera Molnar: "Interstices" (Zwischenräume, Anm. der Autorin) |
In einer weiteren Leinwandserie ergeben die ausgesparten Flächen ebenfalls angeschnittene Quadrate. Vera Molnar hat sich selbst auf dem Computer ein Programm namens MolnArt geschaffen, mit dem sie ihre Zeichnungen entworfen hat.
"Als visuelle Forscherin experimentierte sie systematisch mit geometrischen Formen und erfand Algorithmen für ihre Kunst…. Ihr Werk spielt mit der Gleichzeitigkeit von Ordnung und Störung, wobei Unordnung als ästhetisches Element betrachtet wird."
So die Kurotorinnen zu Molnars Werk. Umso mehr bewundert man dann die Kunst von Rune Mields, deren Werk noch vor der Nutzung des Computers entstand.
Vera Molnar selbst dazu: "Der Computer hilft, aber 'macht', er gestaltet: er 'erfindet' nichts", eine essentielle Aussage, wie sie derzeit noch auf die KI anwendbar ist. Eine Serie von Zeichnungen zeigt, wie ein senkrechter und ein waagrechter Balken sich immer mehr zur Ellipse und von der Ellipse zum Kreis formt. Diese Art von Transformationen geometrischer Grundformen erfordern von den Betrachter:innen eine besondere Liebe zum Detail, die sich befreit von den schnellen Bildfolgen vieler Videokunst.
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Vera Molnar (Ausschnitt) |
Die rätselhafteste und faszinierendste Arbeit war für mich die Videoprojektion von Sophia Schmitt mit einer Audioschleife von 15 Minuten.
In der unermüdlichen Bewegung einzelner Partikel bis hin zu ganzen Flächen chaotisiert sich eine senkrecht angelegte Pixellandschaft mit einem Soundtrack, der passgenau diese Störfaktoren in der Struktur des Bildes begleitet. Flächen entstehen und vergehen, einzelne Pixel flitzen durch das Bild, zerbröseln ehemals senkrechte Linien. Nichts ergibt lesbare Formen, alles ist fragmentarisch, verweigert sich einem übergeordneten Sinn.
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Sophia Schmitt: "again" |
Sophia Schmitt versteht ihr Werk als eine Art Gleichnis beim Erinnern an nächtliche Träume, die bereits unmittelbar nach dem Aufwachen ins Schemenhafte verblassen.
"Diese Verbindung erzeugt unscharfe Fragmente, ähnlich wir Pixel, die sich beim Versuch, sich an Details zu erinnern, verzerrt und verpixelt darstellen…. Dieser unkontrollierte Prozess ähnelt einem algorithmischen Fehler: Die Übersetzung von Traum zum Wachsein ist gestört."
Schmitts Video "again" leitet zu den beiden Arbeiten von Rune Mields "Der unendliche Raum dehnt sich aus" und "Der endliche Raum ist unbegrenzt" über und könnte mit ihren unterschiedlichen Botschaften der beiden Künstlerinnen kaum ambivalenter sein.
Egal, wie herum man den Rundgang der Ausstellung gestaltet, ob historisch von den Anfängen bis zu heutiger Nutzung von Computerprogrammen - die Ausstellung ist eine großartige Leistung der Kuratorinnen und des Frauenmuseums. "beyond algorithms_digital utopia" ist schon im Titel intelligent und wirkmächtig. Sie zeigt die Irritationen, die mit heutiger Computerkunst von Computerspielen, der sogenannten augmented und virtual reality einhergehen bis hin zur Frage: Ist das, was wir im Netz vermeintlich als Abbildung einer Realität sehen, wirklich oder bereits durch Bildbearbeitung, Computerprogramme und KI manipuliert? Braucht es eine neue Definition von real? Und ist diese Frage für heutige Generationen der Nuller Jahre und Heranwachsende noch relevant, die sich fast alles übers Internet besorgen können und sich so selbstverständlich in virtuellen Räumen bewegen? Diese Arbeiten der zeitgenössischen digital natives, die oft auch dystopisch anmutet, berührt all diese Fragen. Und sie mit den Anfängen von Computerkunst und den technisch afinen Werken der Pionierinnen zu verbinden ist selbst eine Pionierleistung der beiden Kuratorinnen Silke Dombrowski und Sarah Gulik. Die Informatiker - und Mathematikerinnen wurden von Bettina Bab recherchiert. Daneben erfüllt die Schau auch einen klassisch feministischen Ansatz, dass alles, was Männern selbstverständlich zu - und Frauen eher abgesprochen wird wie Analytik, Wissenschaftlichkeit, Mathematik, Informatik - immer auch schon von Frauen im Windschatten großer männlicher Ikonen ausgeübt wurde.
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