Eine Ausstellung zum Desaster der Erdölförderung im Nigerdelta
Nicht wir leben in der Hölle, sondern die anderen. Aber was wir damit zu tun haben, zeigt eine Freiburger Ausstellung noch bis zum 25. Januar 2015: "Letzte Ölung Nigerdelta" ist der befremdliche Titel im Freiburger Museum Natur und Mensch, die vom Staatlichen Museum für Völkerkunde München ausgerichtet und nun von den Freiburgern übernommen wurde.
Noch befremdlicher ist das Ausstellungsplakat. Im strahlend rotblau-gemusterten Kaftan steht ein Mann im Mittelgrund des Bildes mit einer ebenso strahlend kobaltblauen Plastikschüssel mit Wasser darin. In einer theatralisch wirkenden Geste wäscht er sich das Gesicht, die Tropfen hängen eingefroren wie kostbare Perlen in der Luft. Hinter ihm eine bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Landschaft mit Resten von Zivilisation - es könnte die Inszenierung eines zeitgenössischen Theaterstücks über den Weltuntergang sein. "Das Drama der Erdölförderung in zeitgenössischen Fotografien" heißt die Ausstellung im Untertitel und das Foto auf dem Plakat ist von Akintune Akinleye, Mitkurator der Ausstellung. Es ist am Tag nach einer Pipeline-Explosion am 26. Dezember 2006 entstanden, bei dem in einem Vorort von Lagos mindestens 269 Menschen verbrannten. Der Mann hatte beim Löschen des Feuers geholfen und wäscht sich nun den Ruß vom Gesicht.
"Eine Pipeline wurde von einer bewaffneten Bande angezapft und geriet in Brand, als die Anrainer den ausgelaufenen Treibstoff aufsammelten", heißt es in der Erläuterung zu Akinleyes Foto. So weit zu den Kleinkriminellen und Bandenbildern, die Pipelines anzapfen und Menschleben gefährden - und oft auch selber dabei draufgehen. Die Anderen heißen Shell, Chevron, Mobil, Total, Agip und sind weder als Bandenmitglieder noch als Personen kenntlich, sondern nur durch ihre riesigen Ölförderanlagen präsent. Das sind sauber konstruierte Anlagen, die die überlegene mind-power
des Westens klar zum Ausdruck bringen. Ein paar werbeträchtige Bilder gibt es auf der Webseite von ONNE Oil and Gas Free Zone zu sehen. Die Fotos dieser Anlagen bilden
einen krassen Kontrast zum Chaos des Überlebens und der permanenten
Zerstörung der Region, der Desaster Area, wie sie in dieser
Ausstellung vielfach dokumentiert wird: Konzerne, die seit einem
halben Jahrhundert Öl pumpen und ihre Pipelines dicht um die Häuser der
Siedlungen gelegt sowie Gewässer und Böden verseucht haben.
Die fortgesetzten Menschenrechts -
verletzungen werden nur deshalb nicht oder nur zum Schein geahndet, weil die nigerianische Regierung mit den Ölfirmen kooperiert. Sie unterstützt mit der Bestrafung der Kleinkriminellen wegen illegaler Ölgewinnung die legale Ausbeutung durch die Konzerne und setzt Militär gegen die eigene Bevölkerung ein, die nicht bereit ist, nur Opfer zu sein und sich in drei Widerstansdorgansiationen formiert hat: Die militanten Gruppen sind die MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta) und die NDVF (Niger Delta Volunteer Force) sowie die unbewaffnete MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People). Am 31.10.1995 wurden Ken Saro-Wiwa, ein bekannter Schriftsteller und Fernsehproduzent und acht weitere Mitglieder von MOSOP in einem Schauprozess unter den Augen internationaler Beobachter zum Tode verurteilt und am 10. November gehängt.
Neben den spektakulären Fotos von militantem Widerstand, verbrannten Leichen (Sunday Ohwo) und Explosionen von Pipelines (Pius Utomi Ekpei) wird auch der bedrückende Alltag der Menschen im Nigerdelta gezeigt. Sie steigen über Rohre, waten durch ölverschlammte Böden, dazu brennen Tag und Nacht die Gasflammen der Ölförderanlagen. Christine Stelzig, Direktorin des Staatlichen Museums für Völkerkunde München wird im Katalog zur Ausstellung wie folgt zitiert:
"Der Ausstellungstitel 'Letzte Ölung Nigerdelta' ist eine Provokation und drückt zugleich eine Hoffnung aus. Im römisch-katholischen Volksmund bezeichnete man einst die Salbung, die einem schwer kranken, kurz vor dem Tode stehenden Menschen zuteil wurde, als letzte Ölung. Sie sollte ihn stärken und ermutigen. In der Tat benötigen die Menschen im Nigerdelta Stärkung und Ermutigung."
Das klingt ein bisschen wie das Wort zum Sonntag. Die Ausstellung selbst hat nichts von diesem Habitus. Sie informiert neben den Fotos durch Statistiken, Karten mit den Öl-und Gaskonzessionen der verschiedenen Ölgesellschaften, Satellitendaten sowie Infrastrukturkarten und NASA-Aufnahmen. Sie entfaltet "ein "geballtes prägnantes Mosaik vieler ineinandergreifender Einzelszenarien", und verdeutlicht, dass " Orte und Regionen nicht immer gleich den ganzen Kontinent als Maßstab und Betrachtungsfeld nehmen", schreibt Christian Höller im Ausstellungskatalog und "könnte einer ersten Aufhellung der notorischen Schwarzmalerei durchaus förderlich sein."
Ob damit tatsächlich der "Afro-Pessimismus ", ein Ausdruck des Filmwissenschaftlers Manthia Diawara, den Höller zitiert, gemindert wird, ist fraglich. Zwar verhilft die Differenzierung und die Aufklärung durch die Möglichkeit, Zusammenhänge herstellen zu können, zu einem geschärften Bild und beim Abschmelzen von Stereotypen. Aber das "Drama der Erdölförderung" mit den zeitgenössischen Fotografien erfüllt dennoch alle Schreckensbilder, die sich die meisten von Afrika machen, auch wenn hier deutlich wird, dass es sich hier nur um eine bestimmte Region handelt und Afrika kein Land, sondern ein Kontinent ist. Die Mixtur aus Armut, Gewalt, Militanz, alltäglichem Elend und Katastophen könnte das pessimistische Afrikabild kaum besser erfüllen. Auch lassen sich die Fotografen nicht zu Helden stilisieren. Das "aufsässige Moment", das Höller in den Arbeiten zu sehen glaubt und das, wie er zugibt "nur in Ansätzen bemerkbar" wird, ist einfach nur der Job eines guten Bildjournalisten. Sie fotografieren das Nigerdelta wie sie andere Elendsgebiete oder einfach nur Shakira beim Auftritt in Lagos (George Esiri) oder Fußballspiele (Pius Utomi Ekpei) fotografieren. Sie ziehen weiter zu anderen Katastrophen, viele von ihnen bekamen verdiente Preise und Auszeichnungen.
George Osodi ist inzwischen in die Kunstszene übergewechselt und stellte 2007 auf der Documenta in Kassel und seitdem regelmäßig in Galerien in Deutschland aus. Aber als nigerianische Fotografen, von denen die meisten immer noch in Nigeria leben, bestimmen sie das Bild über ihr Land mit und sie tun es mit Fotos, die so versiert sind wie die Arbeiten jeder ihrer westlichen Kollegen, die u.a. mit Ed Kashi, Michael Kamber oder Chris Hondros, alle drei aus den USA, vertreten sind. Es ist vielmehr das Verdienst der Ausstellung mit ihrem profunden Begleitmaterial, dass das "aufsässige Moment" herstellt und der Zusammenhang, in den sie diese Fotos mit einer kleinen ethnologischen Sammlung aus derselben Region stellt. Zum Abschluss hierzu noch ein Interview mit einem der Kuratoren, Stefan Eisenhofer und einigen Kameraschwenks durch die Freiburger Schau:
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