Tingatinga ist der Name eines tansanischen Künstlers, der in den 1960er Jahren auf der Suche nach einem Einkommen in die Hauptstadt nach Dar es Salaam zog. Als Arbeitsloser bezog er im europäischen Viertel Oysterbay vor dem Morogoro-Supermarkt Quartier und begann aus Resten von Hartfaserplatten und Fahrradlacken Bilder zu malen und diese an die europäischen
Residents zu verkaufen. Diese verhalfen seiner Malerei schließlich auch zum Durchbruch. 1971 organisierten skandinavische Entwicklungshelfer - eingebettet in eine internationale Handelsmesse in Dar es Salaam - eine umfangreiche Werkschau des Künstlers. Damit begann der Aufstieg dieser Malerei, die noch zu Lebzeiten des Künstlers viele Nachfolger fand, wie sie in der Ausstellung im Leipziger Grassi-Museum "
Schneemann im Quadrat - Zeitgenössische Kunst Ostafrikas & African Tales von Maix Mayer" dokumentiert ist.
Dieser Kontext - eine begleitende Auflockerung der Handelsmesse durch dekorative Malerei - macht bereits deutlich, wohin die Reise gehen würde: Tingatinga's Bilder wurden zu einer verkäuflichen Ware, die gut in die nationale Identitätsbestimmung Tansanias nach der Unabhängigkeit hineinpasste. Die
National Development Cooperation, mit deren Zusammenarbeit diese Ausstellung entstand, kaufte die gesamte Produktion des Künstlers nach der steigenden Preisspirale für Tingatinga's Werke auf und wurde zum einzigen Verkäufer: Ein kluger Schachzug, denn erstens starb Tingatinga bereits 1972 auf recht skurile Weise. Er wurde versehentlich für einen Dieb gehalten und von der Polizei bei einer Verfolgungsjagd erschossen. Seine Werke bekamen damit Raritätscharakter. Zweitens wurde damit eine europäische Vereinnahmung verhindert. Denn meistens bekamen die Europäer zuerst den Fuß in die Tür, wenn es um das Abschöpfen von Profiten und um die Definition dessen ging, was afrikanische Kultur sei.
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Abdulrahman Hassan (Ausstellungsfoto von Uwe Kerkow) |
Zu seinen Lebzeiten brachte die hohe Nachfrage seine Verwandten auf den Plan, die ebenfalls in die Hauptstadt
zogen und ihm halfen, den Bedarf zu decken. Er
unterrichtete sie in seinem überschaubaren Bildkanon und sie
produzierten Bilder in seinem Stil. Einige brachten städtische
Bildmotive und Alltagsszenen des tansanischen Lebens mit ein wie sein Cousin Hashim
Mruta Bushir, andere setzten sich von ihm ab und zogen mit eigenen Verkaufsständen vor andere Supermärkte.
Die Motive der Bilder spielen für deren Verkäuflichkeit eine tragende Rolle. Auf einiges habe ich in meiner
Besprechung
zur Leipziger Ausstellung bereits hingewiesen: romantisierende
Naturdarstellungen, gerne Wildtiere der Nationalparks wie Löwen,
Elefanten, Giraffen, Affen, Hyänen sowie häusliche Dorfszenen. Zunächst
als Einzeldarstellungen mit einfarbigen Hintgergründen entwickelte
Tingatinga später komplexere Kompositionen mit verschiedenen Figuren und
Tieren sowie Farbverläufen und dekorativen Elementen wie Fisch - und
Blättergirlanden. Eine ganze Reihe von typischen Tinga-Tinga Bildern finden sich auf der
Webseite
Tinga Tinga Afrikanische Bilder. Diese werden - wenig nachvollziehbar - zuweilen als
Weiterentwicklung der traditionellen afrikanischen Kunst interpretiert.
Das ländliche Erbe des Künstlers dürfte zweifellos in
ritueller Masken- und Fetischkunst sowie der tradtionellen Wandmalerei liegen. Aber in seinen Bildern verlieren diese Einflüsse, sofern
überhaupt nachweisbar, ihre ursprüngliche Bedeutung.
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Hashim Mruta Bushir (Ausstellungsfoto von Uwe Kerkow) |
Für die Entwicklung
des Tingatinga-Labels ist diese willkürliche Herleitung allerdings enorm
wichtig. Das war und ist ja der Exportschlager des afrikanischen
Kontinents, auf den die westliche Welt so begierig ist: Traditionelle
und damit rituelle, magische Kunst aus Afrika und ihre Übertragung und
Fixierung in der zeitgenössischen Produktion von Bildern und
Kunsthandwerk. Denn einerseits dockt es an das immer noch tief verwurzelte koloniale Bild des 'primitiven' Kontinents an, andererseits wird diese Kunst als authentisch afrikanisch zementiert. Die vermeintlich heile Welt des ländlichen Afrikas und seiner Bewohner dient als Schablone für das, was wir in unseren westlichen Welten nicht mehr vorfinden. Bildproduktionen dieser Art finden sich bis heute in den Büros vieler Entwicklungshelfer.
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Kivuthi Mbuno:"Zu Hause ist zu Hause" (Farbstift auf Papier, 1996) |
Nach dem Tod von Tingatinga blieben eine ganze Reihe von Künstlern aus
seiner Gemeinschaft weiterhin zusammen und organisierten sich 1977 in der
Tinga Tinga Partnership und
erlaubten nur der Ethnie von Tingatinga - den Makua aus dem
südlichen Tansania - den Beitritt. Das konnte aber die Flut der Künstler,
die sich auf diese Weise durch den neu entstandenen Markt einen
Unterhalt verdienen wollten, nicht eindämmen. 1990 schlossen sie sich
zur größeren Organsiation der
Tinga Tinga Arts Co-operative Society (
TACS) zusammen. Auf ihrer Webseite wirbt sie mit dem Ausdruck
"one of the most famous African Brands",
die mehr an eine Whiskywerbung erinnert. TACS unterstützt die 'echten'
Tingatinga Künstler laut der Texterläuterungen zu den ausgestellten
Werken der Leipziger Schau mit
"...der
Bereitstellung von Materialien und bei der Organisation des Verkaufs der
Bilder. Auch hat sie 'Tinga Tinga' als offiziellen Markennamen
lizensiert und setzt sich für den Schutz von Tingatinga's Erben ein. Die
Zugehörigkeit zur TACS ist nicht auf die Makua beschränkt, sondern
schließt alle Künstler mit ein, die in der Stilrichtung von Tingatinga
authentische Bilder malen. Die Kooperative führt auch Auftragsarbeiten
für die BBC, Walt Disney, die FIFA und andere internationale Unternehmen
aus. Heute arbeiten circa 80 Künstler in der Kooperative..."
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Kivuthi Mbuno: "Musingila" (Farbstift auf Papier, 1996) |
Damit konnten zumindest die Nachgeborenen für eine westliche Vermarktung des afrikanischen Labels ausgebeutet werden. Die Entstehung eines freischaffenden Künstlers oder Kunsthandwerkers hat auch in anderen Ländern viele Nachfolger gefunden. Sie sind allen Afrika-Reisenden als fliegende Händler und durch die vielen Verkaufsstände entlang der Businesszonen in afrikanischen Innenstädten bekannt. Diejenigen, die die dörfliche Armut hinter sich lassen und eine neue Identität als Künstler suchen, aber schon lange kein ausreichendes Einkommen mehr damit sichern können, sind alluzuoft
"Lost boys", wie sie der afro-amerikanische Maler
Kerry James Marshall porträtiert hat. Ihre Konstruktion einer Identität als Künstler ist äußerst fragil. Sie beschönigt die Realität der arbeitslosen, nur durch Gelegenheitsjobs sich über Wasser haltenden Männer - es sind überwiegend Männer - die ihre ländliche Herkunft abgestreift haben, aber damit auch entwurzelt sind.
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C.Tokoudagba: "Akaba tötete Yahazé, als dieser sich verbeugte" |
Wie authentische Bilder des ländlichen Afrikas aussehen, zeigt der Künstler
Kivuthi Mbuno
(geb. 1947) aus dem Nachbarland Kenia und im Vergleich wird schnell
deutlich, wie sehr diese Werke sich von dem dekorativen Stil der
Tingatinga-Künstler unterscheiden. Und wie
rituelle Kunst und Wandmalerei aussieht, kann man an dem
inzwischen im professionellen westlichen Kunstmarkt arrivierten Voodookünstler
Cyprien Tokoudagba
(1939-2012) und seinen Bildwelten studieren. Bilder eines Entwurzelten zeigte das Kölner Museum Ludwig 1999 in seiner
Ausstellung
"Bill Traylor (1854 - 1949). Deep Blues" über den noch in der Sklaverei geborenen
Bill Traylor.
Auch er malte auf gefundenen Bilduntergründen, hauptsächlich auf
Reststücken von Kartons. Entwurzelter wie er kann man kaum sein: Bill
Traylor trug noch den Namen seines Besitzers.
Bildnachweis: Die Bilder von Cyprien Tokoudagba stammen aus der gleichnamigen Ausstellung in der ifa-Galerie Bonn vom November 1995, die Bilder von Kivuthi Mbuno stammen aus der Ausstellung "Kivuthi Mbuno - Vom Leben der Kamba" im Juni 1997 der ifa-Galerie Bonn. Alle Fotos aus den genannten Ausstellungen von Ina Zeuch.
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