Der transatlantische Sklavenhandel wurde zur größten Zwangsumsiedlung der
Menschheit, bei der schätzungsweise elf Millionen Menschen zwischen dem 17.
und 18. Jahrhundert in die Neue Welt und nach Europa verschleppt
wurden. Dieses immense Ausmaß konnte von den Opfern naturgemäß kaum
dokumentiert werden. Dennoch gibt es einige wenig bekannte, spärliche
Zeugnisse von Betroffenen.
In einer mehrteiligen Serie zum Sklavenhandel und ihren unterschiedlichen
Folgen habe ich bereits einige dieser Zeugnisse vorgestellt - so die
Die Prinzen von Calabar des Historikers Randy J. Spark, der den spannenden Briefwechsel zweier
irrtümlich in die Sklaverei verschleppter nigerianischer Sklavenhändler in
historische Zusammenhänge bringt oder
die Aufzeichnungen Jan Stedmans, der fünf Jahre in Surinam Sklavenaufstände im Namen der britischen Krone
niederschlug. In ihnen wird dieses belastende Thema weg von der bloßen
Aufzählung geschichtlicher Fakten hin zu anschaulichen Geschichten von
Einzelschicksalen verlagert, die trotz ihrer Einzigartigkeit und ihrer
unterschiedlichen Perspektiven erhebliche Teile des blutigen Geschäfts
beleuchten.
1852 erschien der Roman "Uncle Toms Cabin" von Harriet Beecher Stowe in Boston und ist also nicht wie die anderen Beiträge zur Sklaverei historisches Dokument, sondern Fiktion. Der erste Teil zu den Hintergründen des Romans sowie der zweite Teil zur Geschichte von 'Onkel Tom' erschien hier auf diesem Blog.
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Fußfessel für Sklaven, Musée de la civilisation.celtique / Bibracte, Frankreich.Foto: wikimedia, Quelle Urban |
1852 erschien der Roman "Uncle Toms Cabin" von Harriet Beecher Stowe in Boston und ist also nicht wie die anderen Beiträge zur Sklaverei historisches Dokument, sondern Fiktion. Der erste Teil zu den Hintergründen des Romans sowie der zweite Teil zur Geschichte von 'Onkel Tom' erschien hier auf diesem Blog.
Die Rebellen
Aber es gibt auch zwei bemerkenswerte Gegenfiguren zur dankbaren Sklavin
Topsy und zu dem sich aufopfernden Sklaven Tom, den Beecher Stowe einen
Martyrer nennt - Cassy und George, auch hier wieder in eine männliche
und eine weibliche Variante aufgeteilt. Beide wollen mit dem Christentum
nichts zu tun haben.
Ein großes Verdienst von Beecher Stowes Roman ist es, alle Aspekte der
Sklaverei in ihre Fiktion miteinzubeziehen und dazu gehört die besonders
perfide Ausbeutung und Quälerei der Frauen in der Sklaverei. Die
Geschichte von Cassy, die Tom in seinen letzten Tagen so gut wie möglich
versorgt, erhellt diese wenig beachtete Unterdrückung. Mit dem ersten
ihrer Käufer lebt sie in einer jahrelangen Liebesbeziehung, aus der auch
zwei Kinder entstehen. Nichts in dieser eheähnlichen Verbindung kann
ihren Liebhaber dazu bringen, sie zu heiraten und ihr damit legalen
Schutz vor der Sklaverei zu bieten. Vielmehr verkauft er sie schließlich
zusammen mit ihren Kindern wegen seiner Spielschulden.
Wie sehr sie durch ihre Kinder erpressbar ist, schildert Beecher Stowe
eindrücklich: Aus der zweiten Verbindung bei einem ihrer nächsten
Besitzer wird ihr ein Sohn geboren, aber nachdem sie trotz aller
Gefügigkeit ihre beiden ersten Kinder bereits durch Weiterverkauf
verloren hat, bringt sie diesen neugeborenen Sohn durch Laudanum um. Nie
wieder will sie Kinder haben, um durch sie erpressbar zu werden, nie
mehr glaubt sie an die Liebe. Über eine Odyssee von Weiterverkäufen
kommt sie schließlich in den Besitz von Legree. Hier hat sie bereits
alle Skrupel und Ängste verloren, sie ist bereit zu sterben oder ihren
Widersacher zu töten. Sie kann Tom nicht überzeugen, so weit zu gehen,
selbst nicht um den Preis, sinnlos zu sterben. Er will sie stattdessen
zum Glauben an Gott führen, um ihren Peinigern zu verzeihen. Das aber
lehnt sie ab. Über eine ausgeklügelte, über Monate vorbereitete Flucht
entkommt sie der Sklaverei, bei der sie noch das Mädchen Emmeline aus
dem Besitz von St. Clare mitnimmt, das Legree ebenfalls gekauft hat.
Cassy ist durch ihren permanenten Missbrauch durch die Sklaverei eine
ernstzunehmende Gegnerin ihrer weißen Unterdrücker: Sie wird
vermutlich niemals mehr einem Weißen vertrauen und deshalb niemals
kooperieren. Auch hier wird Beecher Stowes Appell spürbar, Sklaven
menschlich zu behandeln, damit sie für die weiße Gesellschaft nicht
verloren sind.
Eine noch weitreichendere Figur des Rebellen ist George, der Verlobte
Elizas und Vater von Harry. Er wurde von seinem Sklavenhalter an
einen Fabrikbesitzer ausgeliehen, wo er sich schnell profiliert und
entsprechend befördert wird. Sein Selbstbewusstsein wird von seinem
Besitzer harsch in die Schranken verwiesen. Nach einem Besuch der
Fabrik, wo ihm Georg als selbstbewusster Verwalter entgegentritt, nimmt
er ihn aus dieser Leiharbeiterschaft heraus. Er degradiert ihn wieder
zum Feldsklaven. Hier kommt die Angst zu Tage, dass der begabte, sich
seiner Fähigkeiten bewusste Sklave für einen eklatanten Rollenwechsel
sorgen könnte: Vom Unterdrückten zum Unterdrücker. In primitivster Form
kam das auch in der Propaganda der Sklavenbefürworter in ihren
Karrikaturen zum Ausdruck. Beecher Stowe lässt George bei Eliza
erbittert gegen seinen Besitzer, dem er sich überlegen fühlt,
ausrufen:My master! Who made him my master? I'm a man as much as he is; I am a better man than he is; I know more about business than he does; I am a better manager than he is; I can read better than he can... and I've learned it all myself, and no thanks to him - I've learnt it in spite of him and now what right has he to ....bring me down to the hardest, meanest, and dirtiest work...
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"Abolition of the slave trade, or the man the master", British Cartoon Prints Collection, 1789, Wikimedia |
Am Vorabend seiner Flucht besucht George Eliza ein letztes Mal, um ihr die Gründe darzulegen, warum er fliehen will.
Zu diesem Zeitpunkt hat Elisza sich noch nicht entschlossen, selbst zu
fliehen, weil sie nicht glauben kann, dass ihr gütiger Mr. Shelby den
gemeinsamen Sohn Harry tatsächlich verkaufen würde - auch hier wieder
der Hinweis auf den Vertrauensbruch selbst menschlicher Sklavenhalter,
die letztendlich doch unmenschlich handeln. In den Worten Georges
gegen das Christentum kleidet Beecher Stowe ihre harscheste Kritik als
Gegnerin der Sklaverei. Eliza, die George an das Vertrauen in den
christlichen Glauben erinnern will, entgegnet er:
That's easy to say, for people are sitting on their sofas, and riding in their carriages; but let 'em be where I am ...
Als er bei seiner Flucht, bei der er sich bewaffnet und bereit ist,
seine Verfolger zu töten - heutzutage würde man ihn einen Terroristen
nennen, während er für die andere Seite ein Freiheitskämpfer wäre - an
die Gesetze des Landes erinnert wird, gegen die er damit verstosse,
ruft er aus:
My country! what country I have but the grave!
Monrovia und Freetown - die Rückkehr nach Afrika
Christentum, das die Sklaverei ermöglicht hat mit einem Gott, der
dies ungestraft zulässt, diesem Glauben will George nicht
angehören. Und in einem Land, dessen Gesetze die
Sklavenhaltung und absolute Rechtlosigkeit von Menschen
untermauern, in diesem Land möchte er nicht leben.
Folgerichtig wird er von Beecher Stowe als potentiell politischer
Führer skizziert, der am Ende des Romans mit seiner Familie nach
Liberia emigriert. Anders als Tom bleibt Georges Einfluss nur auf
seine Familie beschränkt. Offensichtlich sind seine
Ansichten zu radikal.
Aus naheliegenden Gründen ist die eigentliche Führungsfigur Tom,
der so auch zum Titel des Romas wird, ist er doch die weitaus
harmlosere 'Version' des Unterdrückten. Schon durch seinen
Beinamen 'Onkel', der nicht nur seinem Alter geschuldet ist, wird
er zur Identifikationsfigur für seine Mitsklaven - einer der
offensichtlichsten Kompromisse, die
Beecher Stowe für ihre Leserschaft eingeht, die aber vermutlich
auch ihr eigenes Unbehagen gegenüber einem Rebellen wie George
widerspiegeln.
Dennoch hat sie auch dieser Facette ihres Sujets mit einer Rolle
wie der Georges bedacht, die m. E. die überzeugendste von allen
ist, weil wir uns heute viel weniger mit Christentum und noch
weniger mit Bibelzitaten einfangen lassen, mit der sie Tom
unentwegt ausstattet. Aus damaliger Sicht war die Rebellion durch
Demut, wie Tom sie bis zu seinem Tod praktiziert und sich diesem
Tod ohne Aufbegehren fügt und dabei noch seinen Mördern
vergibt(!), die moralisch durchschlagendste - gleichzeitig aber
auch die annehmbarste Version für die Abolitionisten: Nicht
schuldig werden am Tod von demutsvollen Christen wie Tom einer war
und hoffen, dass die radikalsten und eloquentesten Denker der
Sklaven emigrieren in ein Land, das den Namen Freiheit
trägt.
Aus naheliegenden Gründen ist die eigentliche Führungsfigur Tom, der so auch zum Titel des Romas wird, ist er doch die weitaus harmlosere 'Version' des Unterdrückten. Schon durch seinen Beinamen 'Onkel', der nicht nur seinem Alter geschuldet ist, wird er zur Identifikationsfigur für seine Mitsklaven - einer der offensichtlichsten Kompromisse, die Beecher Stowe für ihre Leserschaft eingeht, die aber vermutlich auch ihr eigenes Unbehagen gegenüber einem Rebellen wie George widerspiegeln.
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Coat of arms of Liberia. Public domain, Wikimedia commons |
Die Aussiedelung von befreiten Sklaven nach Liberia - die
Möglichkeit, die George nutzt -
wurde aktiv von den USA gefördert. Die Flagge Liberias ist die US-Flagge mit einem Stern und zeigt
so auch am deutlichsten die Affinität zu den USA. Die Konflikte
zwischen den Nachkommmen der Sklaven - den amerikanischen
Liberianern - und den 16 Ethnien des Landes prägen das Land bis
heute und führte zu einem 14 Jahre andauernden Bürgerkrieg, bei
dem es wieder um den Kampf für Gleichberechtigung ging. Die
indigene Bevölkerung Liberias kämpfte gegen Nachkommen ehemaliger
Sklaven, die aus der Geschichte ihrer eigenen Unterdrückung heraus
das Land besiedelten und zur Oberschicht avancierte und so zur
herrschenden Klasse wurde.
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UN-Soldat bei der Bewachung eines Wahllokals 2005 in Liberia. Foto: Uwe Kerkow |
Eine weitere Rückkehrwelle von ehemaligen Sklaven nach Afrika war
die Besiedelung Sierra Leones, dessen Hauptstadt deshalb auch den
Namen Freetown trägt. Sie war eine selbstbestimmte und von den
ehemaligen Sklaven finanzierte Migration mit eigens angeheuerten
Schiffen für die Überfahrt. Diese selbstbestimmte Version hätte
zur Rolle Georges besser gepasst, war aber Beecher Stowe damals
vielleicht nicht bekannt.
Das Urteil der Nachgeborenen, wie sie hier in der Besprechung des Romans prägend ist, sollte jedoch keinesfalls dazu verführen, der Abolitionisten-Bewegung ihren Mut und ihr ehrliches Engagement abzusprechen. Der Rassismus hat mit dieser Bewegung nicht aufgehört und die faktische Gleichberechtigung der Afroamerikaner nicht durchgesetzt, aber sie war eine treibende Begleiterscheinung bei der Abschaffung der Sklaverei.
Das Urteil der Nachgeborenen, wie sie hier in der Besprechung des Romans prägend ist, sollte jedoch keinesfalls dazu verführen, der Abolitionisten-Bewegung ihren Mut und ihr ehrliches Engagement abzusprechen. Der Rassismus hat mit dieser Bewegung nicht aufgehört und die faktische Gleichberechtigung der Afroamerikaner nicht durchgesetzt, aber sie war eine treibende Begleiterscheinung bei der Abschaffung der Sklaverei.
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