Samstag, 28. April 2018

Geschichten aus der Sklaverei: Expedition nach Surinam (Teil 1)

In einer mehrteiligen Serie zum Sklavenhandel und ihren unterschiedlichen Folgen möchte ich einige dieser Zeugnisse vorstellen. In ihnen wird dieses belastende Thema weg von der bloßen Aufzählung geschichtlicher Fakten hin zu anschaulichen Geschichten von Einzelschicksalen verlagert, die trotz ihrer Einzigartigkeit und ihrer unterschiedlichen Perspektiven erhebliche Teile des blutigen Geschäfts beleuchten.  Mit die "Prinzen von Calabar" gab es mit den Briefen von zwei nigerianischen Sklavenhändlern, die irrtümlich als Sklaven gefangen wurden, den ersten Beitrag zu diesem Thema.
Fußfessel für Sklaven, Musée de la civilisation.celtique / Bibracte, Frankreich. Foto: wikimedia, Quelle Urban
Über 800 Seiten lang, durchsetzt mit akribischen Zeichnungen von Flora, Fauna und den Bewohnern von Surinam, Karten, Aufzählungen von Waren und den Profiten, die mit ihnen gemacht wurden bis hin zu Gedichten berichtet uns John Gabriel Stedman - holländischer Staatsbürger - von seiner "Expedition nach Surinam".

2011wurden seine Aufzeichnungen  vom Internet Archive digitalisiert und sind nun  in altertümlichem, aber gut verständlichem Englisch nun allgemein zugänglich. Das Internet Archive  wird durch den Research Library des Getty Research Institute finanziert und realisiert. Hier die Links, die zu Band 1 und Band 2  von Stedmans Aufzeichnungen  führen.

"From different Parents, different Climates we came of different Periods, Fate rules the same. All unhappy youth while bleedin’ on the ground, Yours to spill - but Mine to feel the wound", Text und Zeichnung von Stedman

Aufbruch nach Surinam 

 

Anders als bei den "Prinzen von Calabar" spricht hier sozusagen einer der 'Unseren', der ganz im Dienste der Kolonialherren steht. Diese Primärquelle gibt Einblicke in die Kolonialgeschichte Surinams von einem Zeitgenossen, der natürlicherweise keine abgeklärte Sicht auf die Verhältnisse entwickeln kann. Seine Aufzeichnungen sind deshalb zutiefst verwirrend und widersprüchlich, denn begabt mit einem scharfen Verstand und seiner ihm selbst auferlegten Rolle eines Chronisten seiner Erlebnisse, nimmt er die tiefe Ungerechtigkeit und Menschenverachtung der Sklaverei durch die koloniale Herrschaft ebenso wahr wie er auf der anderen Seite seine überlegene Rolle eines weißen Kolonialmilitärs einnimmt.

Fünf Jahre  von 1773 bis 1777 - verbringt er in Surinam, angeheuert von der britischen Marine, die routinemäßig Truppen dorthin verschifft. Dort sollen sie die erbitterten Sklavenaufstände bekämpfen, die verheerende Breschen in die kolonialen Abläufe und Geschäfte schlagen. Dabei zahlen die Rebellen die Grausamkeiten, die an ihnen als Sklaven verübt wurden, mit gleicher Münze an ihren Unterdrückern, den Kolonialherren, heim.

Zeichnung von Jan Stedman

Diese Aufstände sind in ihrer Hartnäckigkeit und Wucht - wie Stedmann berichtet - so ungewohnt und demütigend für den weißen ‘Übermenschen‘, dass sich selbst die verfeindeten Nationen der englischen Krone und die Niederlande nach ihrem dritten Krieg gegeneinander auf diesem winzigen Stück Land zusammenraufen, um die "Society of Surinam" zu bilden. Denn nur gemeinsam - so ihre Einsicht nach den bitteren Niederlagen - können sie die Aufstände niederschlagen. Gegen die Rebellen rekrutieren sie sogar schwarze und indianische Söldner, die bei weitem besser als die Europäer mit dem erbarmungslosen Klima und der Orientierung in den Sümpfen zurechtkommen. 

Der Werdegang von Jan Stedman

 

Da sein väterliches Erbe verloren ist, hat Jan Stedmann nicht die Mittel, sich beim holländischen Militär einen Offizierstitel zu kaufen. Also geht er als Fähnrich - ein Rang, für den man nicht bezahlen muss - in ein schottisches Regiment, das offensichtlich zu dieser Zeit in holländischen Diensten steht. Dort bringt er es bis zum Leutnant. Sein größter Wunsch aber ist es, in die britische Marine einzutreten und in die Kolonien aufzubrechen, um dort die britische Vorherrschaft, die er tief bewundert, zu festigen. Dieser Wunsch geht 1772 in Erfüllung. Gleich zu Anfang gibt er sich als eine Art aufgeklärter Kolonialist zu erkennen, indem er die übliche Auffassung zunächst teilt, dass Milde gegenüber den Eingeborenen und Freiheit "to illeterate and unprincipled men" geradezu gefährlich für alle Beteiligten sei. Gleichzeitig sieht er die Erde Surinams getränkt vom Blut der "African Negroes", nennt den Kolonialismus eine "almost constant and diabolical barbarity", an der nicht - wie er gleich hinzufügt - die Holländer allein, sondern vor allen anderen Nationen die Juden die Hauptschuld trügen. So gleichmäßig paternalistisch und rassistisch teilt er zu allen Seiten aus, noch bevor er den Boden Surinams betritt.

Karte von Surinam, Zeichhnung von Jan Stedman

Ankunft in Surinam

 

Privilegiert und in bester Verfassung wird er von der kolonialen Elite der Hauptstadt Paramaribo als Gast aufgenommen und in das gesellschaftliche Leben eingeführt. Neben Ausritten über Land wird er den 20 besten Familien in der Stadt zugeführt. Hier nur ein kurzes Zitat, das einen Einblick in das feine, müßiggängerische Leben gibt, dass Stedman die nächsten Wochen führen wird:
One gentleman, a Mr. Kennedy, in particular, carried his politeness so far, as not only to offer me the use of his carriage, saddle-horses, and table, but even to present me with a fine negro boy, named Quaco, to carry my umbrella as long as 1 remained in Surinam.

Dieser Müßiggang, durchsetzt von Bällen, Konzerten und allerlei Amusements für die oberen Ränge der frisch angekommenen Truppe, gibt Stedman die Gelegenheit, seine aufregende Umgebung zu studieren und seine ersten Beobachtungen aufzuschreiben: Zu allererst einmal die Frauen, deren Attraktivität für die Europäer fein säuberlich nach der Helligkeit ihrer Hautfarbe gestaffelt ist. Offensichtlich sind die Indio-Afrikanerinnen und allen voran die hellhäutigeren Mulattinnen am beliebtesten, während er vor allem die Haut der Kreolinnen detailliert als hässlich und ungesund beschreibt. Auch geht er auf die Eifersucht der Frauen untereinander ein, die sich vor allem um die Neuankömmlinge reißen, obwohl sie wissen, dass sie meistens nicht mit nach Europa genommen werden und vergleicht sie mit Moskitos.
 ...... that the tropical ladies and the musquitoes have an instinctive preference for a newly-landed European...
Die Begegnung seines Oberbefehlshaber Oberst Fourgeoud mit dem Gouverneur Surinams beginnt mit einem Affront, weil dieser bei der Ankunft  seine Truppen gleich zu Beginn mit dem Rücken zum Gouverneurspalast aufstellen ließ, was er als respektlos empfindet und dazu führt, diese zunächst in einen unproduktiven wochenlangen Wartezustand zu versetzten.

Bestrafung einer Sklavin, Zeichnung von Jan Stedman
Bei den Einsätzen gegen die Rebellen greift der Gouverneur außerdem lieber auf die Truppen der schwarzen Ranger zurück und ist im Begriff, Oberst Fourgeoud mitsamt seinen Mannen wieder zurück nach England zu schicken. Nur der Protest der Einwohner von Paramaribo verhindert diesen ruhmlosen Abgang. Dieser Zwist und das Ausbleiben von Zwischenfällen zermürbt die Truppe.  Stedman verbringt diese Wartezeit im Archiv von Paramaribo, um die Geschichte Surinams zu studieren und aufzuschreiben.


Stedman’s Studien zur wechselvollen Geschichte von Surinam


Briten und Holländer reißen sich in Surinam von Beginn der Kolonisierung an um Kakao, Zucker, Kaffee, wie Stedman aus seinen Archivstudien erfährt.  Franzosen, die das Nachbarland Guayana besetzen, das bis heute eine französische Kolonie ist und die den Surinamfluss als Verkehrsader nutzen, berauben öfters die Plantagen der Holländer und erobern immer wieder Teilgebiete, die sie sich in erpresserischen Verhandlungen dann teuer abkaufen lassen. Es sind allesamt Diebe, Räuber und Mörder, unverblümt gierig und skrupellos auch gegeneinander. Neben den Unruhen, verursacht durch die entlaufenen Sklaven, gibt es immer wieder Meutereien der eigenen Soldaten gegen die Offiziere, die durch ihr angenehmes Leben die unteren Ränge erbittern, während sie selbst bei schlechter Bezahlung ständig harte Arbeit in tropischer Hitze verrichten müssen. Um 1726 - so Stedman - wächst die Zahl der Rebellen, die gut organisiert in den Sümpfen versteckt leben und  dort sogar Plantagen errichten und mit den gestohlenen Waffen bestens umzugehen verstehen. Die Verstecke der Rebellen auszuheben, schlägt lange fehl. 1730 werden elf von ihnen gefasst und zur Abschreckung extrem brutal hingerichtet. Stedman:
One man was hanged alive upon a gibbet, by an iron hook stuck through his ribs; two others were chained to stakes, and burnt to death by a slow fire. Six women were broken alive upon the rack, and two girls were decapitated. Such was their resolution under these tortures, that they endured them without even uttering a sigh.
Der Effekt dieser Hinrichtungen schlägt ins Gegenteil um. Die Seramica rebels bedrohen die Siedler danach umso mehr, so dass der Gouverneur Mauricius schließlich mit ihnen verhandelt und tatsächlich zu einem Friedensschluss mit ihnen kommt. Dabei muss der als Captain Adoe bezeichnete Rebellenführer noch reich beschenkt werden. Der Friedensvertrag ist mit 12 Artikeln sehr konkret ausgehandelt und überrascht Stedman, der an dieser Stelle seine Bewunderung für diese Präzision gegenüber angeblich unzivilisierten Wilden nicht verhehlt. Aber als Militär sieht er Verhandlungen mit den Rebellen als Konfliktlösung  als bedenklich an:
...nothing appears to be more dangerous than making a forced friendship with people, who by the most abject slavery and ill usage are provoked to break their chains, and shake off their yoke in pursuit of revenge and liberty, and who by the trust which is placed in them have it in their power to become from day to day more formidable...
Bei dem Transport der versprochenen Geschenke an Captain Adoe kommt es zu einem Überfall eines anderen Rebellenführers, bekannt unter seinem nom de guerre Zam Zam, der sich hintergangen fühlt und  die Lieferung an sich reißt. Weil Captain Adoe die versprochenen Waren nicht erhält, ist der Vertrag für ihn damit gebrochen. Erneute Überfälle finden statt. Die Härte der Siedler gegen ihre Sklaven versorgen die Rebellen zusätzlich mit immer neuen entlaufenen Sklaven.

"A Negro hung by the Ribs to a Gallow", (Zeichnung von Jan Stedman
So kommt es zur Entsendung einer 600 Mann starken holländischen Truppe der Society of Surinam, die in diesem höchst unübersichtlichen Guerillakrieg Rebellen bekämpfen sollen. Die besten Erfolge gegen die Aufstände erzielen immer noch die Indios, laut Stedman "natural enemies to the negroes, but friends to the Europeans". Zwischen militärischer Aufrüstung aus Europa und Verhandlungen mit den Rebellenführern geht es hin und her. Die Verluste sind so hoch, weil bereits viele der Neuankömmlinge geschwächt ankommen, sehr anfällig für Malaria und anderen tropischen Krankheiten, an denen sie wie die Fliegen sterben. Auch gibt es Berichte über meuternde Soldaten, die ihren Offizier mitten in den Sümpfen aus Protest verlassen haben und dabei  den Rebellen in die Hände fallen.
So weit zu den Studien Stedmans während der Wartezeit auf den Einsatz  gegen die Rebellen.

Durch dieses Studium der Ereignisse in Surinam steigert sich sowohl Stedmans  Tatendrang als auch sein Wissen darüber, worauf er sich einlässt. 1772 ist die Situation am Tiefpunkt und die weißen Siedler von Surinam formen ein Regiment von freigelassenen Sklaven, die nun gegen ihre eigenen Leute zum Einsatz kommen sollen. Stedman äußert sich voller Respekt zu diesem Regiment:
When we consider the treatment which was so generally exercised against the slaves of this settlement, it must surprise the reader to be told, that this hazardous resolution had providentially the desired effect. These brave men performed wonders above expectation, in conjunction with the Colonial or Society troops, whose strength and numbers alone were no longer thought sufficient to defend this settlement.
Aber um nicht vollständig auf diese prekäre Lösung bauen zu müssen, bat die Society of Surinam den Prinzen von Orange um ein reguläres Regiment. So werden 300 Mann aus Amsterdam geschickt, von denen nur circa 50 Mann die Reise fit genug für einen Einsatz überstanden hatten. Solche und ähnliche Meldungen durchziehen Stedmans Bericht, in denen er auch die Grausamkeiten weißer Offiziere gegen die eigenen Leute festhält:
The unhappy creatures, under the command of Mr. H. were starved and tormented by unnecessary severity; and his lieutenant, unable to continue a witness of the tyrannical punishments he inflicted, leaped from the cabin window, and terminated his existence.
Auch erzählt er die Geschichte des meist gefürchteten Rebellenführers zu Beginn seines Einsatzes, nur bekannt unter seinem Fantasietitel Baron. Dieser ist einer der begabtesten Sklaven eines Mr. Dahlberg aus Schweden gewesen, der ihm Lesen und Schreiben beibringt und ihn sogar mit nach Holland nimmt. Er verspricht ihm nach der Rückkehr aus Europa, ihn zu einem freien Mann zu machen, bricht dieses Versprechen aber und verkauft ihn sogar weiter. Daraufhin hin flieht Baron in die Wälder,  setzt sich aufgrund seiner Bildung mühelos an die Spitze der Rebellen und wird zu einem der berüchtigtsten Gegner im Kampf gegen die Sklavenhalter. Beim Eintreffen von Stedman ist Baron gerade gefasst, womit ein großer Schlag gegen die Rebellen gelungen ist.

"The River Surinam", Zeichnung von Jan Stedman

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