Sonntag, 19. Januar 2020

Kunstszene Shanghai (1): Malerei aus Japan in der OTA-Galerie

"Stories Told Tomorrow" nennt die japanische Malerin Tomoko Kashiki zusammen mit der Galeristin ihre Ausstellung von überwiegend großformatigen Bildern. Die OTA Fine Arts Galerie, 1994 in Tokyo gegründet, hat ihre Dependance in Shanghai erst 2017 eröffnet. Tomoko Kashiki wird hier zum ersten Mal in einer Soloausstellung gezeigt.

Im Gegensatz zur Größe vieler Bilder sind die Sujets der Künstlerin zumeist aus der Alltagwelt, oft geradezu banal - aber aufgeladen mit einer kryptischen, traumartigen Atmosphäre.

"My Favorite Green Dress", Acryl, Kieselerde, Sand auf Leinwand, 2018/19
Ihre Maltechnik ist dabei ausgesprochen vielschichtig und langwierig. Um die pastose, watteartige Atmosphäre ihrer Bilder zu erzeugen, benutzt sie alte, tradtionelle Malweisen, die - wie mir die Galeristin erklärt - mit mehrschichtigen, feinen Texturen arbeiten. Dabei verwendet Tomoko Kashiki feinkörnigen Sand, Kieselerde sowie farbdurchnässte Papierbögen, die sie auf die feuchten Leinen presst und so hauchzarte Farbabstufungen erzeugt. Diese durchtränkten Stoffe bringt sie später auf Holz auf. Ihre überwiegend einzelnen Figuren entspringen alle demselben Körpertypus: Dünn, fast ätherisch, mit sehr heller Haut in flächiger Malweise.

"Come with me", 154 x 110 cm, Acryl, Kieselerde, Sand auf Leinwand, 2019
Diese Art der Darstellung entstammt dem Schönheitsideal alter buddhistischer Gemälde der Heian-Periode in Japan, wie im Katalog erklärt wird. Ungewöhnlich, das eine so junge Künstlerin (geb. 1982) eine so aristokratische, wenig zeitgemäße und elitäre Tradition als Inspiration für ihr Schaffen wählt. So wirkt auch ihre Kunst wie aus der Zeit gefallen, die zudem von ihren Betrachtern erfordert, sich in die recht skurilen Assoziationen der Künstlerin einzufühlen, die sich auch in ihren Titeln offenbaren: "I Want to Eat Legs" oder "The Love Between Goldfish and I".
"Strawberry Jam", Acryl, Kieselerde, Sand auf Leinwand, 2019
"Stories Told Tomorrow" - Geschichten, die man erst morgen erzählen wird - dieser Titel könnte auch auf Träume verweisen, die man in der schemenhaften Zwischenwelt vom Schlaf in den Wachzustand am nächsten Morgen noch erhascht und die einen verwundert zurücklassen, in denen vieles  nicht mit der dominanten Wachrealität zusammen passt.  
Denn wie sollte man das absurde Wässern eines verwahrlost wuchernden Gestrüpps vor schwarz rauchendem Fabrikschlot verstehen? Oder die Erdbeermarmelade, die klebrig zäh vom T-Shirt des Einen in die Stofftasche des Anderen fließt? In beiden Gemälden fällt die Doppelbödigkeit auf. Das Bild mit dem Gartenschlauch wirkt wie Urinieren, die Marmelade weckt Assoziationen von Blut. Eine solche Verdichtung von Bildern und rätselhaften Doppeldeutigkeiten sind uns von Träumen vertraut, die den Sinn verunklaren oder ihn symbolisch überhöhen. Damit sind sie nur für den Träumenden in seiner aktuellen Lebenssituation zu entschlüsseln, sofern ihm an einer Deutung gelegen ist und er sich auf das Rätselhafte seiner Träume einlassen kann.
"Sea Dream", 163 x 218 cm, Acryl, Kieselerde, Sand, Stoff  auf  Leinwand,  2019
Ungefähr so muss man sich hier auch auf  Tomoko Kashikis Bildwelt einlassen.  Aber selbst, wer sich damit schwer tut, kommt als rein sinnlicher Kunstflaneuer auf seine Kosten. Dafür bietet der Detailreichtum und die elaborierte Malweise der Künstlerin genügend Anreize.

"The Love Between Goldfish and I", 178 x 158cm, Acryl, Kieselerde, Sand, Bleistift ,  2019
Im nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Teil der Ausstellung zeigt mir die Galeristin noch eine Serie von Zeichnungen. Sie verdeutlichen noch einmal die Inspiration der Künstlerin, die den alltäglichen Situationen entstammen, allerdings von Menschen, die - wie mir scheint - eher einsam oder zumindest höchst individualistisch in ihrem Kokon leben. Auch hier zeigt sich die flache, konturlose Technik, die für Tamoko Kahsiki so typisch ist. Fast wie durch Milchglas zeigen sich hier in zarten Grautönen Menschen in ihrem ganz privatem Kosmos.

Zeichnungen von Tomoko Kashiki

 Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch im November 2019, Shanghai

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