Ich lerne Saki im Tageszentrum von Sarajevo, dem World Travelers Center kennen, das von Sanela Klepic ins Leben gerufen wurde. Das WTC ist auch auf Facebook zu finden.
Hier können sich Geflüchtete aufhalten, sich informieren, ins Internet gehen und zwei Mal in der Woche am Englischunterricht teilnehmen. Ziel dieses Zentrums ist es, Geflüchtete auszubilden und sie innerhalb eines Jahres zu legalisieren. Saki ist einer der wenigen, die sich ernsthaft darauf eingelassen haben und sich erst einmal nicht weiter auf die Flucht zu begeben oder an zeitlich begrenzte Aufenthaltspapiere zu kommen, um dann letztendlich doch abgeschoben zu werden. Er möchte sich zunächst einmal qualifizieren und durch eine Ausbildung oder durch die Ausübung eines Jobs an einen erfolgreichen Asylantrag anknüpfen. Die Leiterin vom WTC, die auch Gästezimmer für Touristen anbietet, um eine ökonomische Basis für den Unterhalt des Tageszentrums zu schaffen, möchte das auch mit anderen Geflüchteten aufbauen. Ob dieses Konzept aufgeht, muss sich noch erweisen. Einen Kontakt zu einem engagierten Rechtsanwalt hat sie bereits gefunden.
"Das Spiel mit den vorübergehenden Aufenthaltspapieren mit weiteren Anträgen, Kosten für Rechtsberatung, Dolmetschern etc. ist ja nur ein Aufschub, ein fake für ein angeblich faires Verfahren. Fast alle enden bisher mit den Deportationspapieren", berichtet Sanela. "Dieses Spiel führt zu nichts. Deshalb haben wir uns einen anderen Weg überlegt." Mit Saki hat sie bisher den erfolgreichsten, weil ambitioniertesten Kandidaten für dieses Experiment gefunden.
Saki mit Sanela Klepic im Tageszentrum von Sarajevo |
Ina Zeuch (IZ.): Was hat dich bewogen, dein Land, deine Familie und deine Freunde zu verlassen und dich auf die Flucht zu begeben?
Saki (S.): Ich komme aus Agadir und habe mich 2019 dazu entschlossen, wegzugehen, weil ich so frustriert über meine Situation war. Da war ich 22. Ich habe schon sehr früh angefangen, Fußball zu spielen - mit acht, neun Jahren. Ich habe sehr hart trainiert, fast täglich und bekam dann als Jugendlicher Probleme mit meinem Bein. Der Doktor in Agadir schickte mich nach Casa (Casablanca), aber der hat absolut nichts für mich getan. So ist das hier in Marokko. Wenn du nicht aus einer reichen Familie kommst, wirst du einfach nur herumgeschickt und am Ende passiert gar nichts. Die Vorstellung, dass ich wegen meiner Verletzung vielleicht nicht mehr trainieren könnte, hat mich absolut frustriert. Fußball ist für mich sehr wichtig. Alle halten mich für talentiert. Deshalb wollte ich nach Europa, um dort mehr Chancen zu haben.IZ: Üblicherweise geht die Route vieler Marokkaner nach Ceuta im Norden von Marokko nach Spanien. Du hast die Balkanroute gewählt.
S.: Ja, weil mich weder Spanien noch Frankreich oder Italien als Einwanderungsland interessiert, am ehesten noch Deutschland, auch wegen des Fußballs. Ich bin zunächst in die Türkei geflogen und von dort weiter nach Griechenland gereist. Die Situation in Griechenland war unerträglich, ich war dort nur wenige Tage. In Thessaloniki sagte man uns, wenn wir dort von der Polizei aufgegriffen würden, würde man uns zurück in die Türkei abschieben. Ich bin dann mit einigen anderen aus Marokko und Algerien über Mazedonien nach Albanien weiter gezogen, dort waren wir acht Tage, ohne dass wir einen Zugang zum Camp in Tirana bekommen haben. Also sind wir von da weiter nach Montenegro, einem Marsch von fünf bis sechs Tagen. Im Lager von Montenegro hat uns die Polizei erwischt und zurück nach Albanien geschickt, insgesamt mussten wir drei Mal zurück nach Albanien.
Schließlich haben wir dort in der Nähe von einem Markt kampiert. Es war Lock-down und wir kamen erst einmal nicht weiter, es gab keine Transportmöglichkeit. Von dort sind wir endlich nicht mehr vertrieben worden. Der Betreiber des Marktes hat uns früh am Morgen eingelassen und uns mit allem Möglichem von den verschiedensten Marktständen versorgt. Wir hatten Wasser, freien Internetzugang…die Familie des Marktbetreibers waren Christen und haben mit uns Weihnachten gefeiert. Mit seinem Sohn und dessen Freunden habe ich zusammen Fußball gespielt. Mitten in den schärfsten Corona-Beschränkungen habe ich meine schönste Zeit erlebt, Freunde gewonnen und fast so etwas wie eine Familie gehabt. Als wir wieder weiterzogen, haben sie uns gefragt: Warum bleibt ihr nicht hier mit uns? Es fiel uns echt schwer, sie zu verlassen.
IZ: Du bist schließlich in Bosnien angekommen, wo du noch heute bist. Was waren deine ersten Erfahrungen hier?S.: Ja ich bin heute 24, also seit zwei Jahren auf der Flucht und jetzt schon einige Monate hier in Bosnien. Aber ich kann mir inzwischen vorstellen, hier zu bleiben. Sanela habe ich in Ključ kennen gelernt, damals hat sie dort beim Roten Kreuz gearbeitet. In Ključ hatten wir noch nicht einmal die Möglichkeit, mit einem regulären Ticket im Bus zu reisen. Die Polizei hat alle Geflüchteten aus dem Bus geholt und auf die Straße gesetzt. Nur Taxi ging. Solche Schikanen konnte man dort ständig erleben. Ich zog dann weiter nach Bihać (cica 15 Kilometer von der kroatischen Grenze entfernt), weil ich vorhatte, von dort ins Game zu gehen (Ausdruck unter den Geflüchteten für über die Grenze zu gehen).
Das habe ich dann mit drei, vier anderen versucht, aber es ist uns nicht gelungen. Wir wurden von der Grenzpolizei aufgegriffen. Die haben uns alles abgenommen, nur die Wertsachen wie Geld und unsere Handys haben sie ins Auto getragen. Sie verstecken sich gerne da, wo Wasser ist und wo viele auf der Flucht hingehen und dort schnappen sie dann die, die rüber wollen. Und dann nehmen sie dir alles ab. Sie haben ein großes Feuer gemacht und unsere Rucksäcke, Jacken und alles, womit wir uns für die Flucht ausgestattet haben, vor unseren Augen verbrannt. Dann haben sie uns irgendwo abgesetzt, wo wir viele Kilometer zu Fuß gehen mussten, um wieder ins Camp zu kommen.
Ich habe mehrere Male vergeblich versucht, nach Kroatien zu gelangen. Ich kam dann im Camp von Lipa bei Bihać unter. Aber dort wurden alle nach ihrer ID Card gefragt und wenn man keine hatte und ich hatte keine, wurde man einfach an die Luft gesetzt, obwohl das Camp nicht voll besetzt war. Also haben wir irgendwo draußen übernachtet. Dann wurden wir wieder von der Polizei aufgegriffen und die hat uns wieder vorm Camp abgesetzt. Ich habe gesagt: Die Polizei hat uns hierher gebracht, damit wir im Camp bleiben können. Aber es hat nichts genützt. Sie haben es wieder und wieder abgelehnt, uns aufzunehmen, selbst wenn das Camp leer war. Keine ID Card, keine Bleibe. Verschwindet! Die Polizei hat natürlich auch nichts für uns getan. Die hat uns einfach nur vor dem Camp aus dem Auto geworfen und uns jedes Mal wieder aufgegriffen, wenn wir draußen rumliefen. Es war ein Scheiß Spiel. Das hat mich so erschöpft. Ich war festgefahren. Nichts hat funktioniert, ich war ausgebrannt.
Dann habe ich versucht, in einem großen Zelt mit etwa 50 bis 60 Nordafrikanern unterzukommen, genannt Hangar. Der bestand aus zwei Sammellagern. Ein Zelt war für die Pakistanis, eines für die Nordafrikaner, meist Algerier und Marokkaner. Die haben sich selbst so zusammen gefunden, weil es oft Streit untereinander gab. Das ging da aber auch nur mit ID Card. Schließlich bin ich dort heimlich tagsüber durch ein Fenster eingedrungen, um zu schlafen. Man hat mich gewarnt, dass die Wärter dort von 12 bis 18 Uhr patrouillieren. Sie haben mich dann auch sofort gefunden und mich wieder an die Luft gesetzt.
IZ: Du hast gesagt, dass du nicht mehr ins Game gehen wolltest. Andere versuchen es viele, viele Male. Was war dein Plan stattdessen?
S:Ich bin dann nach Tuzla gegangen; von da ist Serbien nicht weit. Viele Geflüchtete kommen von Serbien rüber nach Bosnien. Ich spielte mit dem Gedanken, wieder zurück zu gehen - auf jeden Fall nicht mehr nach Kroatien. In Tuzla hab ich dann wieder angefangen, Fußball zu spielen. Am Anfang lief alles gut, dort hat man mir auch versprochen, mich neu einzukleiden, mich mit einem Trikot und guten Schuhen auszustatten. Aber dann gingen die Schikanen los. Das Harmloseste war noch, dass sie mich extra lange an den Duschen warten ließen. Selbst wenn ich an der Reihe war, musste ich mich wieder hinten anstellen. Sie wendeten sich ab, wenn ich vorüber ging, sie schnitten mich wo sie konnten. Ich kam in sehr schlechte Gesellschaft. Es gibt Geflüchtete, die nehmen auch Drogen, meist schwere Neuroleptika und Mittel gegen Epilepsie und Krebs. Man bekommt das ganz leicht in den Apotheken. In Tuzla gibt es einige dieser schwer drogenabhängigen Menschen - auch in Sarajevo - aber viele in Tuzla. Sie laufen herum wie Zombies und viele Bosnier denken dann, dass alle Geflüchteten so sind. Sie geben ein ganz schlechtes Bild ab, aber viele wollen uns ja auch so sehen.
IZ: Da hattest du also einen Tiefpunkt erreicht.
S: Ja, genau. Schließlich habe ich mit Sanela telefoniert. Sie hat sofort gemerkt, wie schlecht es mir ging, wie verzweifelt ich war. Ich hab ihr gesagt: Ich bin am Ende, ich weiß nicht mehr weiter, ich geh zurück. Inzwischen hatte Sanela ihren Job beim Roten Kreuz gekündigt und bereits ihr Projekt in Sarajevo geplant. Sie bot mir an: Komm mit mir nach Sarajevo. Das habe ich dann gemacht. So bin ich in Sarajevo gelandet. Da bin ich dann erst mal in einem Lager in Sarajevo untergekommen. Dort waren wirbis zu acht auf einem Zimmer, es war so laut und es gab keine Privatheit. Wenn ich vom Training kam, brauchte ich meine Zeit zum Erholen. Sanela hat dann ein Appartement für mich gefunden, wo ich mit zwei anderen zusammen lebe.
IZ: Du bist der erste Geflüchtete, den ich kennenlerne, der sich vorstellen kann, in Bosnien zu bleiben. Welche Pläne hast du?
Englischunterricht im WTC von Srajevo ( Saki 3.von li.) Foto: Ina Zeuch |
S: Ich möchte hier Fußball spielen, als Profi. Sanela hat den Fußballklub Respekt gefunden. Sie nehmen nicht einfach ungefragt jeden. Zusammen mit ihr haben wir uns einem Interview gestellt. Und dann haben sie mich genommen. Es ist ein privater Klub, sie leben von privaten Spendern, sind unabhängig von Regierungsgeldern. Sie sind sehr zufrieden mit mir. Über mein Talent bin ich in diesem Club innerhalb kürzester Zeit sehr bekannt geworden. Ich war bereits im bosnischen Fernsehen, habe Interviews im Radio gegeben. Jetzt haben sie mir angeboten, dass ich Kinder trainieren könnte. Mein Plan ist, vielleicht ein Coach zu werden mit einer Trainerlizenz. Das ist eine richtige Ausbildung, die auch vom UEFA anerkannt ist. Damit kann ich überallhin gehen und Geld verdienen, indem ich Kinder und Jugendliche trainiere. Kann sein, dass ich das in Deutschlang nicht so schnell geschafft hätte, weil die Kriterien dort strenger sind. Aber wenn man die Lizenz hat, ist das international anerkannt.
IZ: Wirst du damit auch in dem Club auch eigenes Geld verdienen, wenn du anfängst die Kinder zu trainieren?
Zugang zum Internet für die Geflüchteten im WTC Sarajevo. Foto: Ina Zeuch |
S: Nein, ich denke, eher müsste ich noch Geld für diese Ausbildung bezahlen. Ich bin sehr froh, diese Chance zu bekommen. Sie wollen auch erst einmal sehen, ob ich mich bewähre. Aber ich bin total motiviert. Ich habe große Lust, Kinder zu trainieren. Sport ist so wichtig, gerade wenn man so jung ist und Gelegenheit bekommt, damit aufzuwachsen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Eltern mich gefördert haben. In Marokko habe ich gesehen, wie so viele Jugendliche abhängen und nichts mit sich anfangen können. Mit Kindern, die früh angefangen haben, Sport zu machen, mit denen passiert das nicht. Ich kann mir auch vorstellen, nach Marokko zurück zu gehen. Mit einer Trainerlizenz, die ich im Ausland erworben habe und meinen Erfahrungen könnte ich in Marokko gut als Coach arbeiten, etwas Eigenes, einen eigenen Club aufmachen. Ich würde damit Menschen in meinem Land eine Chance geben, dass sie die Karriere machen können, die mir als Geflüchteter vielleicht nicht gelingen wird. Ich möchte ihnen das Selbstbewusstsein dafür geben, das sie was leisten können, Erfolg haben können, auch wenn sie aus armen Verhältnissen stammen.
IZ: Gibt es etwas, was du den Deutschen sagen möchtest, was sie wissen sollten?
S: Ja, ich möchte ihnen sagen, dass wir Geflüchteten etwas leisten können, dass wir viele Qualitäten haben und dass sie uns nicht einfach als menschlichen Abfall ansehen. Wir hätten etwas zu geben, wenn man uns die Möglichkeit dazu geben würde. Gebt uns eine Chance!
IZ: Ich danke dir für dieses Gespräch und dein Vertrauen.
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