Wie umgehen mit dem sozialistischen Erbe, überwiegend propagandistische Auftragskunst, die in den opulenten Sammlungen vieler Museen in Südost- und Osteuropa gespeichert ist? Ein Kuratorenteam der Art Gallery in Tirana, Hauptstadt Albaniens, hat dazu ihre Bestände in ganz neue Zusammenhänge gestellt und zwei sehr unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und sie mit
"Tirana Patience" und
"Open Archive" betitelt.
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Ausstellungsplakat
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Offensiv und kompromisslos geht der Kurator Erzen Shkololli von
"Open Archive" mit dem Museumsbestand des sozialistischen Realismus um. Er präsentiert die überbordende Fülle des Archivs in barocker Hängung, zusammen mit den üppigen Heldenposen zahlreicher Skulpturen. Eine kontemplative Betrachtung von Einzelwerken ist damit bewusst durchkreuzt, vielmehr schweift der Blick über die nicht zu bewältigende Fülle - ganz im Sinne eines Archivs in der Gesamtschau.
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"Open Archive", Blick in die Ausstellung
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Ganz anders geht die Ausstellung von "Tirana Patience" mit den Museumsbestand um. Natasa Ilic und Adam Szymczyk kuratierten die Werke des sozialistischen Realismus in der Originalhängung durch Verhüllung einzelner Bilder, die die Bildmotive schemenhaft erkennen ließen und milderten so die Wirkung der überwiegend klischeehaften Darstellungen von markigen Arbeitern, heldenhaften PartisanInnen sowie häuslichen Szenen lesender ArbeiterInnen und idyllischen Heimatszenen ab. Ebenso verhüllten sie die Skulpturen, hier in farbigen Plexiglasboxen eingepackt, die damit eine moderne Anmutung zeitgenössischer Kunst erhalten.
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Bilder aus dem Archiv
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"Tirana Patience" - Blick in die Ausstellung |
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Besonders schmerzlich ist der Realitätsschock für die Menschen, der durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes nach dem Ende des Sozialismus für viele südost- und osteuropäischen Länder entstanden ist. Sie wird in einer Dokumentation von Doruntina Kastrati deutlich. In ihr zeigt sie, wie entlassene Bauarbeiter in Prishtina an einer Straßenecke darauf warten, für Gelegenheitsjobs gedungen zu werden, umgangssprachlich auch als 'Arbeiterstrich' bezeichnet. Unter dem Titel "Public Heroes and Secrets" wurde dieser Film erstmalig 2020 im Nationalmuseum von Prishtina gezeigt, im Rahmen einer Ausstellung, die von Hana Halilaj kuratiert wurde. Die im Film interviewten Arbeiter hatten alle schwere Unfälle auf einer Großbaustelle erlitten und waren daraufhin entlassen worden.
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Filmstills aus "Public Heroes and Secrets" |
Hier ist nichts mehr übrig vom heldenhaften Arbeiter, der als gesellschaftliches Subjekt im Zentrum der sozialistischen Neuordnung der Gesellschaft steht - so wollte es jedenfalls das Ideal und die Propaganda der ehemals sozialistischen Länder, wie sie die Bilder aus der ständigen Sammlung des Museums erzählen. In der Dokumentation von Doruntina Kastrati ist der Arbeiter nur noch entrechtete Ausschussware. Welche als Propaganda zu entlarvenden Märchen die westlichen Länder von der Freiheit der Märkte und dem kapitalistischen Glücksversprechen für die Menschen dereinst erzählen werden, steht noch aus.
Alle Fotos aus der Ausstellung: Ina Zeuch
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