Wir treffen Abdul und Azim auf einer Decke auf dem kärglichen Rasen vor der Farm in Horgoš. Der Ort liegt 60 Kilometer von Ungarn im Dreiländereck von Serbien, Rumänien und Ungarn. Dort versuchen, viele Menschen auf der Flucht, über die Grenze in die EU nach Kroatien zu gelangen. Aber für Abdul ist seine Flucht hier zu Ende: Er will zurück nach Afghanistan. Heimweh, Geldmangel und die aussichtslose Lage, Arbeit für die Weiterfahrt nach Österreich zu finden, haben ihn zermürbt.
Sehnsucht nach einem Ende der Flucht: Graffiti in Horgoš |
Abdul in Horgoš: "Ich will nur noch weg." |
Sein Freund Azim ist bereits neun Jahre auf der Flucht. Ursprünglich wollte er nach Deutschland. Er seufzt tief auf, als er hört, dass ich Deutsche bin. Aber dieses Ziel scheint ihm jetzt unerreichbar zu sein. Seine Geschichte teilt sich nur noch nonverbal mit, so wie vieles hier sich nur in abgebrochenen, teils vagen Sätzen vermittelt - hinter dem Schweigen wird die Verzweiflung spürbar.
Schwindende Unterstützung für geflüchtete Menschen auf der Balkanroute – das berichten übereinstimmend alle Nichtregierungsorganisationen (NRO) in Serbien, die wir besucht haben. Unausgesprochen bleibt, was alle denken: Die Solidarität für die Menschen aus der Ukraine, die - zumindest bis jetzt - jede Hilfe bekommen, hat die anderen Menschen auf der Flucht noch unsichtbarer gemacht. Dabei sind längst nicht automatisch alle, die dem Krieg in der Ukraine entfliehen, willkommen.
"Wir sind jetzt alle nur noch Ukrainer", verkündet der bayrische Ministerpräsident Markus Söder vollmundig, der sich bisher nicht besonders für Menschen auf der Flucht stark gemacht hat. Das klingt wie Hohn, werden doch Nicht-Ukrainer, die ebenfalls vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, fein säuberlich nach Herkunft und Hautfarbe aussortiert – in der Ukraine wie in Deutschland. Wir sind eher alle nur Rassisten.
klikAktiv
Rassismus trifft auch die Menschen auf der Flucht in Serbien. Kurz vor den anstehenden Wahlen, die jetzt am 3. April stattgefunden haben, war die Polizeipräsenz vor allem in der Hauptstadt Belgrad besonders hoch. Der Park in der Nähe des zentralen Busbahnhofes, der 2015 zur Zeltstadt wurde und noch 2019 Zuflucht und Schlafplatz vieler Geflüchteter war, ist heute frei von den ungeliebten Migranten.
Flyer in der Nähe vom Busbahnhof in Belgrad |
Die Polizei kontrolliert auch Hostels und den Busbahnhof sowie alle leerstehenden Häuser, von denen es hier einige gibt. Dabei behaupten Anwohner oft, dass die Geflüchteten selbst die Häuser zerstört hätten. Auch der Polizei bekannte, private Unterkünfte werden durchsucht, deren Vermieter keineswegs aus Empathie handeln. Vielmehr bezahlen die Menschen viel Geld dafür, dass sie hier Unterschlupf finden. Oft werden sie eingeschlossen, um ihnen noch mehr Geld für die Miete abzupressen. Diese wenig erfreulichen Details berichtet uns eine Mitarbeiterin von klikAktiv, dem Center for Development of Social Policies in Belgrade, das seit 2014 existiert.
Seit 2019 untersuchen sie, wieviel Menschen obdachlos oder auf der Flucht in Belgrad campieren. Dafür besuchte klikaktiv immer wieder Unterschlüpfe der Geflüchteten. Als lokale NRO haben sie auch manchmal Zugang zu den von der Regierung geführten Lagern entlang der Grenzen in Mazedonien, Ungarn oder Rumänien und helfen dort mit Rechtsberatung und psycho-sozialer Unterstützung. Regelmäßig besuchen sie auch die Grenzorte Sid an der kroatischen, Sombor an der ungarischen und Majdan an der rumänisch-ungarischen Grenze sowie Banja Koviljaca und Loznica an der bosnischen Grenze.
leerstehende Farm in Horgoš an der serbisch-ungarischen Grenze, wo im März bis zu 60 Geflüchtete campierten |
Die offizielle serbische Politik sieht vor, die Migranten aufzugreifen und vornehmlich in die Lager an die der mazedonischen Grenze zu bringen. Denn diese Lager werden von der EU mitfinanziert und der Nachweis für ihre Nutzung lässt diese Gelder weiter fließen, was das Narrativ von der geschlossenen Balkanroute weiter aufrecht erhält. Wenn die Geflüchteten es nicht schaffen, heimlich daraus zu entkommen, bedeuten diese Lager das Ende ihrer Hoffnungen.
Leerstehender Stall – Zuflucht von Menschen aus Aleppoin Majdan |
Und auf die großen 'Player' wie die EU, die
Internationale Organisation für Migration
oder das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen setzen die lokalen NRO kaum noch Hoffnungen.
"Das UNHCR arbeitet immer mit, nie gegen die Richtlinien der Regierungen", erzählt uns eine
Mitarbeiterin von klikAktiv bei unserem Besuch im März. Die IOM ist selbst nur
wenig an den trostlosen Unterschlüpfen für Geflüchtete.
Zeltlager von Geflüchteten in Horgoš |
Umgekehrt stützen sich die großen Organsiationen jedoch oft auf die Recherchen der NRO. Damit setzen sie auf deren mühselige Arbeit auf, die sie mit immer geringerem Budgets und unbezahlten Helfern erarbeitet. Die Hoffnung der kleinen NRO wie klikAktiv ist, dass es vielleicht im Austausch dafür eine Zusammenarbeit bei Rechtsmitteln zu Menschenrechtsverletzungen seitens der Polizei oder bei der Legalisierung der Migranten gibt.
infopark
Etwas besser sieht die finanzielle Lage bei infopark aus, ebenfalls eine kleine NRO in Belgrad. Ihr Fokus liegt auf unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Kindern. Sie werden daher von UNICEF unterstützt. Aber auch sie verlieren demnächst wichtige Geber wie die Deutsche Botschaft, deren Unterstützung ausläuft und nicht verlängert wurde. Ihre Räumlichkeiten bieten Menschen tagsüber eine Verschnaufpause.
Plakat im Büro von infopark |
Hier können sie sich ausruhen und sich umfassend über alle wichtigen Hilfen für Geflüchtete informieren. Auch ein kleines Lager für Sachspenden gibt es, aber inzwischen fehlen ihnen die Gelder, um neue Sachen zu kaufen. Infopark bietet auch Workshops im Bereich Gesundheit, Vermeidung und Verarbeiten von Stress sowie allgemeine Kommunikationsregeln und vor allem Erste Psychologische Hilfe. Einmal die Woche gibt es Sport für die Jugendlichen. Besonders mutig ist der Einsatz von infopark bei Übergriffen der Polizei, die sie – sofern möglich – verfolgen und dokumentieren.
Subotica: Beladen des LKW von Collective Aid für die Verteilung |
Collective aid und SOS Balkanroute
Im Februar 2022 schickte die bislang überwiegend in Bosnien aktive SOS Balkanroute aus Wien einen LKW nach Subotica an die serbisch-ungarische Grenze, wo collective aid Menschen auf der Flucht mit der Verteilung von Kleidung, Nahrung und Brennholz hilft. Collective Aid kennt alle Orte an der serbisch-ungarisch-rumänischen Grenze, wo die Geflüchteten ausharren und fährt diese regelmäßig an. Auch hier hausen die Geflüchteten in leerstehenden Häusern und Farmen. Viele Ungarn, die ehemals hier lebten, kehrten wegen der besseren Lebensbedingungen in ihr Land zurück. Wir sehen hier viel Armut und viele alte Menschen, die kärgliche Subsistenzlandwirtschaft betreiben. Auch hier sind die Menschen auf der Flucht nicht willkommen. Aber es gibt keine offene Feindschaft gegen sie.
Familie aus Syrien in einer verlassenen Farm in Dala |
Nach einem Rotationsprinzip verteilt collecitve aid dort an festen Tagen und Zeiten Nahrungsmittel, Kleidung und alle zehn Tage Brennholz. Besonderer Renner ist die im LKW eingebaute Dusche, die während ihrer Verteilungen ununterbrochen im Einsatz ist. Collective aid sowie alle ihre überwiegend freiwilligen HelferInnen sind in Serbien registriert. Dennoch zeigt sich in letzter Zeit die Polizei vermehrt an den Orten der Verteilung und kontrolliert die MitarbeiterInnen. "Das verunsichert die Geflüchteten und dann kommen viele von ihnen nicht", erzählt uns eine Mitarbeiterin der Organisation.
Holzlieferung ins Lager von Collective Aid in Subotica
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Nahrungsmittel von SOS Balkanroute zur Verteilung |
Das Team vom Waschcewnter in Belgrad |
Auch ihre Miete ist nur noch wenige Monate gesichert.
SOS Balkanroute will deshalb
alle von uns besuchten NRO mit je 2.500 € unterstützen. Ein
weiterer LKW mit Sachspenden für klikAktiv ist auch schon wieder geplant, denn
sie haben Zugang zu den Lagern und können der dringenden
Nachfrage für Kleidung dort bislang nur sehr unzureichend nachkommen.
Spaß muss sein - der mitgebrachte Ball wird sofort ausprobiert |
SOS Balkanroute wird aber auch die Hilfe für ihre bosnischen PartnerInnen nicht vernachlässigen. "Fluchtrouten können sich schnell ändern", weiß Petar Rosandic von der SOS Balkanroute aus Erfahrung. "Deshalb wollen wir auch unsere HelferInnen in Bosnien weiter unterstützen, die so gute Arbeit geleistet haben und jederzeit wieder einsatzbereit sind." So soll auch das Tageszentrum in Sarajevo weiter finanziell unterstützt werden. Die Hoffnung ist, dass über die jüngste Flüchtlingswelle aus der Ukraine auch die anderen Menschen auf der Flucht wieder wahrgenommen und nicht weiterhin vergessen werden.
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