Schwere Filzdecken über Fotostative gestülpt empfangen die Besucher:innen der Kunsthalle Mainz in der ersten Ausstellungshalle von Hana Miletics Einzelausstellung. Weben, Stricken und Installationen aus Fäden, die durch den Raum gepannt wurden, waren einmal in der Anfangszeit bei der Suche nach 'weiblicher' Kunst en vogue und ist inzwischen etwas in Verruf gekommen. Denn die künstliche Einteilung in männliche und weibliche Kunst war für das Emazipationsstreben von Frauen in der Kunst eher kontraproduktiv. Aber Fakt ist, dass das Handwerk des Webens und Strickens überwiegend von Frauen ausgeführt wird. So sind die prächtigen Farbkompositionen der Filzdecken in Gemeinschaftproduktion verschiedener Frauenintegrationszentren in Belgien mit Frauen aus Ex-Jugoslawien entstanden.
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Hana Miletic: "Felt Workshops", handgefertigte Filzdecken in Gemeinschaftsproduktion
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Hana Miletic stammt aus Kroatien und lebt in Brüssel und Zagreb. Dieser Kontext ist wichtig, um den sehr spezifischen Ansatz ihrer Kunst zu verstehen. Einmal geht es um einen Zusammenhalt von Frauen in einer erzwungenen Emigration nach einem zerschlagenen Jugoslawien, zum Anderen um ein Handwerk, das in Ex-Jugoswien gemeinschaftlich ausgeführt wurde, also um ein Stück Rückereoberung von Heimat.
"Meine Kindheit in Jugoslawien war geprägt von verschiedenen
gemeinschaftlichen Praktiken, zu Hause, in der Schule ... Die Migration
in das sogenannte 'Westeuropa' ging mit einem abrupten und brutalen
Übergang in ein neoliberales Regierungssystems einher."
Um Unwirtlichkeit und Aneigung in einem langsamen Prozess des Webens und Strickens geht es noch deutlicher in den anderen beiden Räumen der Ausstellung. Zunächst verständnislos blickt man auf oft winzige Stücke von gewebten oder gestrickten Stoffstücken, die teils in großer Höhe wie kleine oder größere Fetzen im Raum verteilt sind. Verloren hängen sie an riesigen Wänden - die Wirkung des Beiläufigen, Banalen wird dabei konterkariert durch die sorgfältige und langatmige Technik der Werkstücke, die Miletic alle
"Materials" nennt.
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Hana Miletic: "Materials" |
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Hana Miletic: "Materials" |
Nach und nach verraten einzelne Arbeiten deutlich mehr vom Thema, das die Künstlerin umtreibt. Es sind die offensichtlich bei Baustellen üblichen Absperrungen, Reste von Plastikplanen an Gebäuden, Fetzen von Undefinierbarem, Liegengelassenem - der alltäglichen Betrachtung von Passanten kaum würdig, oft auch in ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr nachvollziehbar. Ebenso funktionslos verweisen sie hier in der Ausstellung auf urbane Räume im Umbruch. Im Umbruchviertel des Zollhafens von Mainz, in dem die Kunsthalle steht, hat Miletic dieses Gelände zunächst mit Fotos zum Anlass genommen, genau diese Bruchstücke nachahmend zu weben und zu stricken.
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Hana Miletic: "Materials" |
Diese Diskrepanz von schnellen Schnappschüssen und langwieriger Webarbeit ist die eine Transformation, die andere ist die der beiläufigen Reste von Baustellen in abstrakte Formen und Zeichen, die man einfach erst einmal als minimalistische, konstruktivistisch anmutende Kunst auffassen könnte. Diese Ästhethik aber interessiert Miletic nicht, auch nicht die damit einhergehende Abstraktion.
Eher ist es die Verwandlung von etwas Fremden, Unwirtlichem in etwas
Eigenes. Das Material spielt dabei eine zentrale Rolle - die Verfremdung
durch das Stoffliche entwickelt eine eigene Aura, die durch die von ihr
eingespielten Audios, die durch den Raum hallen, eher gestört als
gefördert wird.
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Hana Miletic: "Materials" |
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Hana Miletic: "Materials"
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"Die sozialen Gegebenheiten bestimmen die Form und Ästhetik eines jeden Werkes. Ich bin mir bewusst, dass meine Textilarbeiten abstrakt und schön wirken können, aber ich bin nie auf der Suche nach Schönheit und Abstraktion an sich. Die textilen Arbeiten und die Reparaturen, auf die sie sich beziehen, sind nie neutral - ein Zustand, der oft mit Abstraktion assoziiert wird - weil sie immer verschiedene Betriebs- und Machtsysteme zusammenhalten. Abstraktion ist ohnehin nie neutral. Sie ist immer in der Realität verwurzelt."
Wie befremdlich und zerstörerisch Heimatlosigkeit sein kann, kommt am deutlichsten in der Installation "For the Spiders" zum Ausdruck. Textilfetzten in grünlichem Licht füllen den Raum und hier ergänzen die Geräusche, die über Lautsprecher dazu ablaufen, atmosphärisch das Thema. Es bezieht sich unter anderem auf die florierende Textilindustrie ihrer Heimat Kroatien und der fast völligen Zerschlagung dieser Industrie im Krieg und der damit einhergehenden Arbeitslosigkeit vieler Frauen.
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"For the Spiders", Stofffetzen, Audio und Lichtinstalltion
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Diese Stimmung von Verlust und Entfremdung ist gerade in
"For the Spiders" besonders spürbar. Ohne den beiliegenden Text zur Ausstellung verfehlt man diese Dimension der Heimatlosigkeit und der Suche nach Aneignung und Reparatur, so fragil sie auch sein mag. Die Ausstellung ist noch bis 25. Februar 2023 in der
Kunsthalle Mainz zu sehen.
Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch
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