Samstag, 8. Juni 2002

"Get Rich": Im Reich des Nollywood - Videos aus Nigeria


"Tot oder Lebendig", "Kinder des Terrors" oder auch einfach nur "Werde Reich" heißen die begehrten Streifen aus Lagos. Der Preis für die Kassetten ist Verhandlungssache wie bei allen Waren auf dem Markt. Die nigerianische Videoproduktion auch in Benin zu vermarkten, ist trotz des Booms im eigenen Land sprichwörtlich naheliegend. Um ein größeres Verbreitungsgebiet zu erreichen, werden viele Filme jedoch oft in englischer Sprache gedreht. Die Drehorte sind meist in Lagos selbst und in ländlicher Umgebung.
Kino in Benin

Es ist Sonntagabend in Cotonou. Im Kino "Vog" stehen heute keine amerikanischen, europäischen oder indischen Produktionen, sondern nigerianische Filme auf dem Programm. Die große Kinohalle, die durch Industrieventilatoren von über einem Meter Durchmesser mit Frischluft versorgt wird und in die bis zu tausend Zuschauer hineinpassen, wird nach und nach immer voller. Die Leinwand ist entsprechend riesig, aber tatsächlich wird nur ein großformatiges Videobild über einen Beamer darauf projiziert. Entsprechend matt sind die Farben und auch von der Schärfe geht einiges verloren - was der gespannten Aufmerksamkeit des Publikums keinen Abbruch tut. Immerhin hat man 500 Franc-CFA Eintritt bezahlt, was etwa 1,50 DM entspricht - ein Betrag für den man sich hier auch rundum satt essen kann.
Eine komplizierte Familiengeschichte mit stark komödiantischem Einschlag entrollt sich. Aufgeteilt in theaterähnlichen Szenen wird die Geschichte eines Jungen erzählt, der durch schwarze Magie erblindet. Die Interieurs der Wohnungen, in denen die Dialoge stattfinden, wirken wie die in Erfüllung gegangene Wunschliste eines Afrikaners der Mittelschicht, der sich nach Reichtum sehnt: riesige Schrankwände, Fernseher und modern eingerichtete Büroräume. Auch Autos, die durch große Toreinfahrten in gepflegte Gartenanlagen fahren, spielen eine große Rolle. Aber die auftretenden Schauspieler sind zumeist typisch afrikanisch gekleidet - in Agbadas und Wickeltücher mit kunstvoll drapierten Kopfschmuck bei den Frauen.
Nur zwei Kilometer vom Hafen entfernt hat sich zwischen dem gut besuchten Second-Hand-Markt von Elektroteilen und Altkleidern aus Europa eine schmale Gasse mit Verkaufsständen von Videos gebildet. Das Angebot an Yorubavideos ist auch in der beninischen Hafenstadt Cotonou sehr divers: Von Komödie über Thriller und Agentenfilme bis Familien- und Liebesdramen ist alles zu haben. Das Horror-Genre, hierzulande bislang noch nicht allzu bekannt, wird immer beliebter. Die Yoruba sind eine Ethnie, die sowohl im Westen Nigerias als auch im Nachbarland Benin lebt. Das hier in Cotonou gesprochene Fon ist mit Yoruba verwandt.
Video in BeninMit Videoraubkopien von amerikanischen B-Movies hat sich Nigeria ohnehin schon beim Käufer beliebt gemacht. Zusammen mit gefälschten Autoersatzteilen sowie preiswertem Elektrobedarf und Druckerzeugnissen ermöglichen sie dem afrikanischen Land mit den meisten Einwohnern eine schmale industrielle Basis. Bis zu 3000 Arbeitsplätze sind schätzungsweise durch diesen neuen Markt geschaffen worden. Die Billigproduktionen, die im Durchschnitt von innerhalb drei Wochen Drehzeit entstehen, lassen keinen kulturellen Hochgenuss zu: Die erheblichen Nebengeräusche überlagern besonders bei Außenaufnahmen oft die Dialoge, die Auflösung ist niedrig und viele Einstellungen sind überblendet. Die Geschichten selbst drehen sich meist um viel Geld und auch Voodoo darf nicht fehlen.
Bei "Get Rich" ("Werde Reich"), einer Produktion von 2001, dreht sich alles darum, wie zwei Freunde durch obskure Geschäfte zu Geld kommen. Fred, einer der beiden, wurde gerade wegen chronischen Geldmangels von seiner Freundin verlassen. Von einem machthungrigen traditionellen Führer - vielleicht ein animistischer Priester - erhalten die Freunde den rätselhaften Auftrag, einem Buckligen den Buckel abzuschneiden, was beiden zu enormen Reichtum verhilft. Das Opfer stirbt dabei, aber Fred gewinnt seine Freundin zurück. Durch ihren Einfluss als aktive Christin von Gewissensbissen geplagt, besucht er die vermeintliche Witwe des Opfers, um festzustellen, dass der Bucklige nicht wirklich gestorben, sondern ihm jetzt vielmehr dankbar ist, weil er von seinem Ungemach erlöst wurde. Erleichtert weigert sich Fred, bei der nächsten illegalen Aktion seines Freundes mitzumachen. Das ist sein Glück., denn alle anderen, die an dem Geschäft beteiligt sind, werden verhaftet.
Doch nicht nur die Nigerianer, auch die Beniner sind geschäftstüchtig: Wer einen Videorekorder hat, kann mit ein paar Leihvideos schon ein kleines Kino aufmachen - so gesehen in Ouidah, einem Küstenort 40 Kilometer südlich von Cotonou. Dort wurde der Nebenraum einer Kneipe zum Vorführraum für Raubkopien amerikanischer Filme. Der Eintritt kostet nur noch ganze 50 CFA - etwa 15 Pfennige - was das Publikum deutlich verjüngte: Fast ein Drittel bestand aus Kindern, die ganz vorne direkt vor der bunten Flimmerkiste lagerten. Auch im beninischen Fernsehen halten zunehmend ausländische Produktionen Einzug. Die brasilianischen Telenovelas wurden zum wahren Straßenfeger, auch die deutschen Polizeiserien "Derrick" und "Rex" erfreuen sich großer Beliebtheit.
Nach dem abendfüllenden Film im Vog-Cinema scheinen alle zufrieden. Noch kurz vorm Ausgang kommt es zu etwas Aufruhr. Kinoplakate mit dem Konterfei eines offensichtlich bekannten nigerianischen Darstellers werden verschenkt. Dann empfängt einen wieder die feuchtwarme Luft Cotonous, die vom Lärm und den Abgasen der Zweitakter erfüllt ist - den wartenden Mofataxis vor dem Ausgang des Kinos.

Dieser Beitrag ist zuerst bei Entwicklungspolitik Online erschienen. Text und Fotos von Ina Zeuch

Sonntag, 31. März 2002

"Flash Afrique" Ein Schlaglicht auf die westafrikanische Fotoszene

Eine interessante Gegenüberstellung von Studiofotografie und freien künstlerischen Arbeiten ermöglicht zur Zeit die Ausstellung "Flash Afrique" im Düsseldorfer NRW-Forum mit sechs Fotografen aus Westafrika, die von der Kunsthalle Wien übernommmen wurde. Der Untertitel der Schau "Kunst aus westafrikanischen Metropolen" ist allerdings etwas großspurig geraten. Denn tatsächlich stammen die Künstler aus genau drei Metropolen: Dakar, Abidjan und Bamako. Mit dem Stichwort Metropolen, greift der Titel das Thema Urbanität und Marginalisierung auf, das in der aktuellen westlichen Kunstszene zur Zeit en vogue ist. Zu einer anderen Beurteilung afrikanischer Kunst trug schon 1996 eine umfassende Schau im Guggenheim-Museum in New York mit afrikanischer Fotografie bei.
Fünf Kuratoren - unter ihnen auch der jetzige Documentaleiter Okwui Enwezor - recherchierten umfassend zur Ausstellung "In/sight African Photographers, 1940 to the Present". Und erst letztes Jahr überraschten die ifa-Galerien (Institut für Auslandsbeziehungen) in Bonn, Berlin und Stuttgart mit der Ausstellung "Blickwechsel" über afrikanische Videokunst. Dieser Blickwechsel - weg von der Vorstellung animistischer Fetischkunst und Malerei in Erdtönen mit folkloristischen Motiven hin zu einer zeitgenössischen afrikanischen Kunstszene dürfte inzwischen eingeleitet sein. Denn die Fotografie in Afrika blickt auf eine über 130-jährige Geschichte zurück: Das erste Fotostudio wurde bereits 1868 in Sansibar eröffnet. Der Schwerpunkt der Studiofotografie lag dabei auf dem Porträt.
SidibeZwei der großartigen und zugleich ältesten Vertreter dieser Auftragskunst sind nun auch in der Düsseldorfer Schau zu sehen: der 2001 verstorbene Seydou Keita, Jahrgang 1923 und Malick Sidibé, geboren 1936 - beide aus Mali und bereits aus vielen anderen Ausstellungen bekannt. Denn anders als bei der Ausstellung von "In/sight" setzen die Kuratoren von "Flash Afrique" auf die Recherche anderer und pflücken überwiegend die bereits durchgesetzten Künstler heraus.
Die Fotos von Keita und Sidib werden in teilweise riesigen Formaten präsentiert, die dennoch nicht übertrieben wirken. Sie weisen selbst in den dunkelsten Partien noch Details und eine räumliche Tiefe und Schärfe auf, die bestechend ist. Keita komponiert seine Bilder nach strengen Kriterien, bei denen die Menschen fast immer en face aufgenommen werden. Dabei gehen die üppigen Muster der afrikanischen Kleider mit den gemusterten Hintergründen - einfache Tücher und Überdecken - einen wogenden Rhythmus ein, aus dem die nackte Haut der Gesichter und Hände hervor leuchten.
Anders als Keita bevorzugt Sidibé die dokumentarische Fotografie. Seine Sujets sucht er im Nachtleben Bamakos und bei jungen Leuten der Mittelschicht. Obwohl seine Bilder als Ausdruck aufkommenden afrikanischen Selbstbewusstseins gesehen werden, wird mit jedem Foto deutlich, wie sehr Frankreich und Amerika stilbildend für die junge, afrikanische Mittelschicht war. Auch die von Senghor (Dichter und Präsident Senegals nach der Unabhängigkeit) ausgerufene Philosophie der N?gritude, mit der die Bilder Keitas in Verbindung gebracht werden und die eine Rückbesinnung auf die afrikanische Geschichte vor der Kolonisierung forderte, wird gerne als afrikanische Selbstfindung interpretiert.
Dabei wurden diese Vorstellungen von vielen afrikanischen Intellektuellen von Anfang an als revisionistisch und regressiv abgelehnt. Enwezor rückt sie sogar in die Nähe der europäischen Anthropologie des 19. Jahrhunderts, die an ein originäres Wesen glaubte. Vielleicht rührt aus derselben Quelle die unreflektierte Forderung nach der Authentizität, die immer wieder als Messlatte für afrikanische Kunst angelegt wird - ein westlich geprägter Begriff, der beim eigentlichen Kunstschaffen keine Rolle spielt. Keiner würde die Authentizität des Kubismus oder die kurze Blüte des Expressionismus in der klassischen Moderne anzweifeln, obwohl sie nachweislich von Sammlungen afrikanischer und ozeanischer Kunst - ermöglicht durch die kolonialen Raubzüge - beeinflusst waren. Erfindungsreich haben Afrikaner immer wieder den unersättlichen Wunsch nach Authentizität benutzt und Fetische und Masken für den europäischen Markt hergestellt - wie bereits für den Ethnologen Leo Frobenius.
Die Idee von der aus sich selbst schaffenden Kunst hat nirgendwo Bestand. Selbst die sogenannten freien Künste sind so frei nicht. Ein Forum für ihre Werke haben afrikanische Künstler fast ausschließlich über europäische Institute in ihren Ländern. Sie sind auf die Entdeckung und Vermarktung durch den Westen angewiesen. Die überwiegend durch internationale Geber finanzierten Biennalen fungieren dabei als Talentschuppen, was für einige Künstler den Zutritt zur aktuellen Kunstszene Europas ermöglichte. Seydou Keita äußert in einem Interview von 1996, dass er keinen Zugang zu Bildern aus Europa gehabt habe. Dennoch hielten westliche Moden indirekt über die Wünsche seiner Kunden Einzug in seine Bilder.
ApagyaEin Beispiel zur gegenwärtigen Studiofotografie liefern die üppigen Farbbilder des 1958 geborenen Philip Kwame Apagya aus Ghana, der gute Chancen hat, zum Liebling eines neueren Afrikabildes zu werden. Seine Hintergründe bestehen aus gemalten Kulissen, die er mit genauen Bildanweisungen in Auftrag gibt. Sie zitieren Statussymbole, die die Sehnsucht nach einem besseren Leben zum Ausdruck bringen: Einbauküchen mit gefüllten Kühlschränken und Wohnzimmerschrankwände, Computer und gekachelte Badezimmer in naiver Aufzählung. Dabei geht es wohl nicht immer um eine täuschende Nachahmung.
Der räumliche Bruch mit dem lebenden Porträt, dass wie bei Keita als ganze Person im fiktiven Ambiente abgelichtet wird, scheint beabsichtigt zu sein. Das Changieren zwischen Schein und Sein und der Witz und die Ironie, die dadurch entstehen, ist Ausdruck des afrikanischen Humors, ohne den man im improvisierten Lebensalltag Afrikas kaum auskommt. Eine filmische Dokumentation über die Arbeitsbedingungen der Auftragsfotografen von Tobias Wendl und Nancy du Plessis belegt, wie sehr der Fotomarkt in Westafrika zur Zeit boomt. Dabei haben sich Libanesen, Koreaner und Chinesen bereits bestens positioniert: Sie sind die Betreiber der Labors und Druckereien für Farbfotos - auch das ein typisch afrikanisches Phänomen. Afrikaner kommen oft um die Früchte ihrer Arbeit, weil sie bei der Vermarktung hinterher hinken.
MandemoryFarbfotos ganz anderer Art zeigt der Künstler Boubacar Tour? Mand?mory aus Dakar. Ohne Auftrag betreibt er eine freie künstlerische Fotografie, die durch ihren kompromisslosen Bildaufbau begeistert. Aus der Froschperspektive nimmt er seine Sujets ins Visier und gibt damit unglaublich dynamisch wirkende Straßenszenen wieder. Die Personen im Vordergrund wirken wie Schattenrisse, und über diese Schatten hinweg sind der Müll der Straße, fliegende Händler und verwohnte Häuser zu sehen. Mit dieser beiläufigen Darstellung von Armut unterläuft Mand?mory die sonst oft übliche Betroffenheitshaltung von Dokumentarfotografie, die aus Menschen Opfer macht und so unfreiwillig auch noch eine Art Voyeurismus beim Betrachter hervorruft.
Seye
Zwei weitere freischaffende Künstler werden mit Bouna Medoune Seye und Dorris Haron Kasco vorgestellt. Bei beiden steht der Lebensalltag von Bettlern, Verrückten und Straßenkindern im Mittelpunkt - Seye in Dakar, der Hauptstadt Senegals, Kasco in Abidjan in der Elfenbeinküste. In überwiegend schwarz-weißen Bildzyklen zeigen die Gestrandeten und ihr Straßenleben in den Städten. Auffallend ist das Bild einer jungen Frau, die nackt und traumverloren in einem belebten Geschäftsviertel einher schreitet. Ein weißer Geschäftsinhaber schaut ihr - geschützt hinter seinem Schaufenster - in einer Mischung aus Abscheu und Voyeurismus hinterher. Aber die Kamera Kascos hat ihn erfasst und zeigt - stellvertretend für viele - die Ambivalenz seiner Haltung.
Über mehrere Jahre beschäftigten sich beide Künstler mit ihren Protagonisten, so dass einige ihrer Bilder den Rang von Porträts erhalten. Diese Vorgehensweise hebt sich deutlich von westlichen Reportagefotografen ab, die in kurzen Journalistenreisen flüchtige und oft wenig repräsentative Bilder mitbringen. Denn weder haben sie wirklich Zugang zu den Ereignissen noch die Zeit, sich näher darauf einzulassen. Die Bilder Seyes und Kascos zeigen, wie eine einfühlsame dokumentarische Fotografie aussehen kann.
KascoLetzterer ist zudem mit einem fast einstündigen Film vertreten, das dem Ansehen eines weiteren großen Meisters - dem im Mai 2001 verstorbenen Cornelius August - gewidmet ist. Einige Porträts von Augustt, dessen Bilder man in dieser Ausstellung schmerzlich vermisst, sind so wenigstens im Film zu sehen. Sein Tod wie auch der von Seydou Keita macht bewusst, dass die Pioniere, durch die die Fotografie auch in Europa bekannt wurde, aussterben und eine Lücke hinterlassen, die nur eine sorgfältige Dokumentation überbrücken helfen kann. In diesem Zusammenhang verärgert, dass die überdimensionierte Einladungskarte zur Vernissage von "Flash Afrique" wohl die Protagonisten nennt, die zur Eröffnung sprachen und agierten, nicht aber die Namen der ausgestellten Künstler.





Dieser Text ist zuerst bei Entwicklungspolitik Online erschienen. Fotos mit freundlicher Genehmigung des Düsseldorfer NRW-Forums.