"Tot oder Lebendig", "Kinder des Terrors" oder auch einfach
nur "Werde Reich" heißen die begehrten Streifen aus Lagos. Der Preis für
die Kassetten ist Verhandlungssache wie bei allen Waren auf dem Markt.
Die nigerianische Videoproduktion auch in Benin zu vermarkten, ist trotz
des Booms im eigenen Land sprichwörtlich naheliegend. Um ein größeres
Verbreitungsgebiet zu erreichen, werden viele Filme jedoch oft in
englischer Sprache gedreht. Die Drehorte sind meist in Lagos selbst und
in ländlicher Umgebung.
Eine
komplizierte Familiengeschichte mit stark komödiantischem Einschlag
entrollt sich. Aufgeteilt in theaterähnlichen Szenen wird die Geschichte
eines Jungen erzählt, der durch schwarze Magie erblindet. Die
Interieurs der Wohnungen, in denen die Dialoge stattfinden, wirken wie
die in Erfüllung gegangene Wunschliste eines Afrikaners der
Mittelschicht, der sich nach Reichtum sehnt: riesige Schrankwände,
Fernseher und modern eingerichtete Büroräume. Auch Autos, die durch
große Toreinfahrten in gepflegte Gartenanlagen fahren, spielen eine
große Rolle. Aber die auftretenden Schauspieler sind zumeist typisch
afrikanisch gekleidet - in Agbadas und Wickeltücher mit kunstvoll
drapierten Kopfschmuck bei den Frauen.
Nur
zwei Kilometer vom Hafen entfernt hat sich zwischen dem gut besuchten
Second-Hand-Markt von Elektroteilen und Altkleidern aus Europa eine
schmale Gasse mit Verkaufsständen von Videos gebildet. Das Angebot an
Yorubavideos ist auch in der beninischen Hafenstadt Cotonou sehr divers:
Von Komödie über Thriller und Agentenfilme bis Familien- und
Liebesdramen ist alles zu haben. Das Horror-Genre, hierzulande bislang
noch nicht allzu bekannt, wird immer beliebter. Die Yoruba sind eine
Ethnie, die sowohl im Westen Nigerias als auch im Nachbarland Benin
lebt. Das hier in Cotonou gesprochene Fon ist mit Yoruba verwandt.
Mit Videoraubkopien von amerikanischen
B-Movies hat sich Nigeria ohnehin schon beim Käufer beliebt gemacht.
Zusammen mit gefälschten Autoersatzteilen sowie preiswertem
Elektrobedarf und Druckerzeugnissen ermöglichen sie dem afrikanischen
Land mit den meisten Einwohnern eine schmale industrielle Basis. Bis zu
3000 Arbeitsplätze sind schätzungsweise durch diesen neuen Markt
geschaffen worden. Die Billigproduktionen, die im Durchschnitt von
innerhalb drei Wochen Drehzeit entstehen, lassen keinen kulturellen
Hochgenuss zu: Die erheblichen Nebengeräusche überlagern besonders bei
Außenaufnahmen oft die Dialoge, die Auflösung ist niedrig und viele
Einstellungen sind überblendet. Die Geschichten selbst drehen sich meist
um viel Geld und auch Voodoo darf nicht fehlen.
Bei
"Get Rich" ("Werde Reich"), einer Produktion von 2001, dreht sich alles
darum, wie zwei Freunde durch obskure Geschäfte zu Geld kommen. Fred,
einer der beiden, wurde gerade wegen chronischen Geldmangels von seiner
Freundin verlassen. Von einem machthungrigen traditionellen Führer -
vielleicht ein animistischer Priester - erhalten die Freunde den
rätselhaften Auftrag, einem Buckligen den Buckel abzuschneiden, was
beiden zu enormen Reichtum verhilft. Das Opfer stirbt dabei, aber Fred
gewinnt seine Freundin zurück. Durch ihren Einfluss als aktive Christin
von Gewissensbissen geplagt, besucht er die vermeintliche Witwe des
Opfers, um festzustellen, dass der Bucklige nicht wirklich gestorben,
sondern ihm jetzt vielmehr dankbar ist, weil er von seinem Ungemach
erlöst wurde. Erleichtert weigert sich Fred, bei der nächsten illegalen
Aktion seines Freundes mitzumachen. Das ist sein Glück., denn alle
anderen, die an dem Geschäft beteiligt sind, werden verhaftet.
Doch
nicht nur die Nigerianer, auch die Beniner sind geschäftstüchtig: Wer
einen Videorekorder hat, kann mit ein paar Leihvideos schon ein kleines
Kino aufmachen - so gesehen in Ouidah, einem Küstenort 40 Kilometer
südlich von Cotonou. Dort wurde der Nebenraum einer Kneipe zum
Vorführraum für Raubkopien amerikanischer Filme. Der Eintritt kostet nur
noch ganze 50 CFA - etwa 15 Pfennige - was das Publikum deutlich
verjüngte: Fast ein Drittel bestand aus Kindern, die ganz vorne direkt
vor der bunten Flimmerkiste lagerten. Auch im beninischen Fernsehen
halten zunehmend ausländische Produktionen Einzug. Die brasilianischen
Telenovelas wurden zum wahren Straßenfeger, auch die deutschen
Polizeiserien "Derrick" und "Rex" erfreuen sich großer Beliebtheit.
Nach
dem abendfüllenden Film im Vog-Cinema scheinen alle zufrieden. Noch
kurz vorm Ausgang kommt es zu etwas Aufruhr. Kinoplakate mit dem
Konterfei eines offensichtlich bekannten nigerianischen Darstellers
werden verschenkt. Dann empfängt einen wieder die feuchtwarme Luft
Cotonous, die vom Lärm und den Abgasen der Zweitakter erfüllt ist - den
wartenden Mofataxis vor dem Ausgang des Kinos.
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