Mittwoch, 13. Juli 2011

Rassismus und Identität - Hari Kunzrus Roman "Die Wandlungen des Pran Nath"

In den Wandlungen des Pran Nath werden brilliant alle Spielarten des Rassismus in Hari Kunzru's gleichnamigen Roman dekliniert. Pran Nath wächst zunächst als Angloinder in einem reichen, vermutlich brahmanischen Haushalt in Agra auf - ein verwöhntes Söhnchen, dessen ungeklärte Vaterschaft nur seiner Mutter und der Dienerschaft bekannt ist. Sein Ziehvater Pandit Razdan ist ein berühmter Strafverteidiger, pedantisch und reaktionär, mit einem Hang zum Rassismus - nur dass dieser sich diffus gegen die eigenen Leute wendet, gekleidet in eine allgemeine Weltverachtung, die zunehmend mehr in asketischen Ekel umschlägt. Trotz aller Reinlichkeitsrituale und Kontaktverweigerung wird er von der Spanischen Grippe dahingerafft und noch in derselben Nacht wird Pran Nath - das schikanierte, verhasste Bastardgezücht - an die Luft gesetzt.

Ein tiefer Sturz, der tiefste in seiner Laufbahn, aber nicht der letzte. Von da an nimmt die Handlung rasant an Fahrt auf. Zunächst wird Pran Nath zu Rukshana, einer Hijra für einen britischen Major - knabenhaft hübsch und begehrt hellhäutig, eine Goldgrube. Hari Kunzru hängt daran die ganze übelriechende Dekadenz des British Empire auf, die symbiotisch mit dem indischen Maharadscha in Agra verbandelt ist. Während sich Moslems und Hindus vereint zum ersten Mal im Punjab erheben und das britische Militär seinen blutigen Job erledigt, verlieren sich indische und englische Machtkreise in Intrigen, Drogen und Langeweile. Pran Nath alias Rukhsana, wie er als Hijra heißt,  kann während einer unsäglich verworrenen Tigerjagd fliehen, in der halbbetäubte Großkatzen vor die britischen Flinten gezerrt werden.

Er wird von einem irischen Missionarsehepaar aufgenommen, das sich immer tiefer entfremdet. Reverend Mcfarlane wird sein Lehrer und mit ihm saugt er in seiner Wißbegier auch die rassistischen Inhalte auf: die kranologische Rassentheorie und den Abscheu gegenüber dem Hinduismus. Seine Frau hingegen driftet in die Theosophie ab und sympathisiert mit ersten Formierungen der politischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich herauszukristallisieren beginnt. Aber das ist für 'pretty Bobby', wie er von seinen Zieheltern genannt wird, kein echtes Identitätsangebot.

"Man kann sich entschließen, die Selbstbeobachtung zu meiden. Wenn Bobby sich für andere unsichtbar macht, indem er die Erscheinung wechselt, den Namen ändert und seine Motive verborgen hält, so tut er es sich gegenüber nicht weniger. ... Bobby ist also ein Geschöpf der Außenfläche.... Vielleicht sollten ihn alle Leute, die ihn nicht richtig kennen ...akzeptieren, dass Bobbys Haut keine Grenze zwischen etwas ist, sondern die Sache selbst, eine Projektionsfläche... Dennoch, während sich Bobby eine Marionette baut und bewohnt, begreift er, dass an englischen Menschen etwas Wunderbares ist. Ihr Leben ist fest und sicher, nach Entwürfen der Klasse und Mitgliedschaft erbaut, die in ihrer Unveränderlichkeit, ihrer eisernen Unbeweglichkeit geradezu edel sind. ...Englische Leben, siegreich und funtkionell. Leben für den industriellen Gebrauch."
Bobby simuliert lieber radebrechend den Engländer, stümpert zunächst, wird immer besser - ein unsystematisches Lernen, denn eine Wissenschaft in verleugnender Anpassung gibt es noch nicht. Ein Zufall führt ihn mit fremden Pass nach England. Wieder schlüpft er in eine andere Identität und lebt in einer fremden Haut. Jetzt darf das Improvisieren nicht mehr auffallen. Bobby wird zu Johnny und englisch bis zum Erbrechen. Öde Highschoolrituale, Initiationen der Anpassung machen ihn zu dem, was er anstrebt: Er wird nicht nur very british, sondern obendrein ein Langweiler, ein Feigling und Streber. Nicht umsonst scheint die Geschichte trotz einer unglücklichen Liebe hier zähflüssig zu werden, ja fast zu stagnieren.


Denn ist Anpassung selbst nicht auch langatmig und mühselig? Zwingt sie einem nicht die undurchsichtigen Spiele der Erwachsenen auf, von denen man nicht weiß, ob man - wenn man sie denn alle brav bis zu Ende gespielt hat - auch das bekommt, was man haben will? Zum Beispiel die englischste Frau der Welt? Oder den Eintritt in die Kreise, die nach Zukunft riechen, dort wo man sich in Privilegien einrichten und das begehrte westliche Leben führen kann? Pran-Rukhsana-Bobby-Johnny verliert nur selten seine innere Anspannung, er fährt auf einem fremden Ticket in einem Land, von dem er vorher nur die Kopie kannte. Und immer ist da noch ein anderer, dessen Leben er lebt und die verwischte Existenz, die er selbst einmal war, bevor er in etwas Anderes aufgehen konnte.
Symbolträchtig führt ihn seine letzte Etappe nach Afrika, als Assistent eines Ethnologen, um die Ethnie eines von Kunzru fiktiv entworfenen Stammes zu erforschen, der sich jedoch den kolonialen Sehnsüchten von Primitivität und Gutmenschentum entzieht. Hier schließt sich der Kreis: Der kühne Aufbruch des Pran Nath wird zu einer Rückkehr in seine unsichtbar gewordene, verleugnete, farbige Haut. Aber diese Rückkehr ist nicht selbstbestimmt, sie wird ihm aufgedrückt, in die Haut eingebrannt - für immer sichtbar. "Die Wandlungen des Pran Nath" ist ein großartiges und böses Märchen zum Thema Identität, Selbstbestimmung und Rassismus.

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