Ein Mann, der Angebote macht, hier eine Nierenoperation für die schwerkranke Tochter verspricht, dort der Frau eines abgetauchten Djihadisten Asyl in Berlin anbietet und überhaupt einfach allen, denen man Namen, Aufenthalte, Anschlagsziele abpressen will, mit den Annehmlichkeiten eines Lebens in Frieden und gesichertem Wohlstand zu ködern – mit einer solchen Szene zu Anfang der 12-teiligen Serie beginnt ‘Fauda‘von Lior Raz und Avi Issacharoff, das Drehbuch stammt von Moshe Zonder.
Eine Szene aus der Netflix-Serie "Fauda", die man der arabischen Seite zuordnen würde, aber hier die Israelis mit zwei Geiseln zeigt, um einen Gefangenen- Austausch zu erpressen |
Dabei kommt laut eines bestochenen ‚Widerstandskämpfers‘ heraus, dass der kürzlich vermeintlich getötete Terrorist Nummer Eins überlebt hat: Abu Ahmad, genannt der ‘Panther‘ ist unerkannt abgetaucht und eine atemlose Suche nach ihm treibt die Handlung vorwärts.
Eine kleine Zelle der israelischen Terrorbekämpfung mit der Lizenz zum Töten, die aus 6 Männern, einer Frau und einem Greenhorn besteht, das sich noch bewähren muss, setzt sich fieberhaft in Bewegung, um diesen misslichen ‘Fehler‘ schleunigst auszumerzen. Bei der Hochzeit von Abu Ahmads Bruder soll dieser nachträglich ‘neutralisiert‘ werden, wie es in der militärischen Sprache der Terrorbekämpfung heißt.
Eine hintergründige Beschreibung des Nahost-Konflikts bietet Fauda,
übersetzt Chaos, nicht. Die Geschichte ist ein Thriller und mäandert
quasi unberührt von den Hintergründen des Nahost-Konflikts geschichtslos
um das Thema von Gewalt und Gegengewalt und macht so seinem Titel der
Serie alle Ehre. Bei so viel Gewalt kann nichts Gutes herauskommen.
Gewalt zerstört die Familien, traumatisiert Unschuldige und lässt die
Täter abgestumpft oder selbst traumatisiert zurück. Dabei konvergieren
die Mittel sowohl der Terroristen wie derer, die sie vermeintlich
bekämpfen. Wer hier die Guten sind, ist nicht auszumachen. Beide
‘Parteien‘ nehmen kollaterale Tötungen in Kauf, erpressen durch
Geiselnahmen und foltern Gefangene.
Abu Ahmad, der sich im Untergrund befindet und von einer Entourage
getreuer Widerstandskämpfer versteckt, beschützt und versorgt wird, wird
dabei ebenso differenziert und menschlich dargestellt wie die
Protagonisten auf der israelischen Seite. In einer rasanten Reihe von
Eskalationen und gescheiterten Einsätzen entfaltet sich ein Spiel von
Verrat, Trauer, Wut, Hilflosigkeit und Hass, die beide Seiten ergreift
und die es einem als Betrachter schwer machen, für die eine oder andere
Seite Partei zu ergreifen. Genau das ist das große Qualitätsmerkmal des
Films. Die Charaktere sind differenziert und einfühlsam geschildert und
bleiben dabei hinter den Dialogen, die dagegen relativ platt wirken,
zurück. Die Schauspieler machen dieses Manko durch ihre eindrücklichen
Charakterdarstellungen wett.
Keine Facette dieses Dramas von Verfolgten und Verfolgern bleibt dabei
ausgespart: Es gibt den verbissenen palästinensischen
Widerstandskämpfer, der seine eigenen Leute riskiert, den Jugendlichen,
der vom großen Idol Abu Ahmad ausgebildet und gefördert wurde und in
tiefer Verbundenheit und Treue dem Personenkult eines einzigen Menschen
huldigt, ganz ohne an die ‘Sache‘ zu glauben und sich im Laufe des Films
gewaltsam befreit, den Verräter, der seinen Kopf aus der Schlinge
ziehen will und sich bestechen lässt, den netten jungen Mann, der als
Terrorbekämpfer seinem Kollegen die Frau ausspannt, dem Zyniker - ideal
zum Foltern der Opfer, weil er gar nichts mehr spürt - den von Ehrgeiz
getriebenen Karrieristen ohne Privatleben und natürlich die liebenden
Familienväter auf beiden Seiten, die nach dem schmutzigen Töten an den
gedeckten Familientisch zurückkehren und von einer Welt träumen, in der
das bald alles nicht mehr nötig sein wird, wenn man nur diesen oder
jenen Anschlag hinter sich bringt, diesen oder jenen Terroristen getötet hat.
Alle zusammen handeln in dem blinden Wahn ihres eigenen Narrativs, dem der Bekämpfung von Terror für die gefährdete Sicherheit Israels oder für die Befreiung des palästinensischen Volkes und der Errichtung des eigenen Staates. Beide Parteien halten ihr Handeln für alternativlos. Wie diese Alternativlosigkeit bei einigen der Protagonisten zerbröselt und wie sie einen Ausweg jenseits dieser Narrative zu finden versuchen - auch darum dreht sich diese Serie, was besonders spannend zu sehen ist und tiefe Einblicke in die völlig zerfahren wirkende Situation des Nahostkonflikts ermöglicht. Nie entkommen die ‘Entkommenen‘ dem Schuldgefühl eines gestohlenen Lebens und deswegen gibt es auch keinen echten Ausweg, nur eine Flucht in ein besseres Leben, das mit einem erheblichen Maß an Verdrängung erkauft ist und dessen Saat in der folgenden Generation jederzeit erneut zur Gewalt führen kann.
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