Montag, 16. Mai 2022

Einfach Luft: Eine Ausstellung zum Element Luft im Kunstmuseum Bonn

"Welt in der Schwebe - Luft als künstlerisches Material" nennt das Kunstmuseum Bonn seine aktuelle Ausstellung, die noch bis zum 22. Juni zu sehen ist.

Gleich am Eingang der Schau wird man von der raumgreifenden Installation der aufblasbaren Skulpturen von Otto Piene überwältigt. In den schrillen  Farben von lila, gelb, rot und grün wiegen sich die raumhohen "Langen Stars", wie der Künstler sie nennt, mit ihren spitzen Sternformen durch den von den Besucher:innen erzeugten Lufthauch hin und her. 

Otto Piene: "Langen Stars", Spinnakertuch, Gebläse, Zeitschaltuhr, 2014

Gleich links neben dem Eingang befindet sich die wohl beliebteste Installation der Ausstellung. Hier kann man silbrig glänzende Luftkissen hin und her und hoch und runter kicken, was dem Raum eine flirrende, spielerische Leichtigkeit verleiht.

Aber danach geht es dann wesentlich ernster zu. In den immer existentiell um Beziehungsdramen sich bewegenden Perfomances von Ulay und Abramovic beatmet sich das Paar gegenseitig selbst. Was erst wie ein Kuss aussieht, wird zu einer manischen Bewegung, wo der eine dem anderen einen Atemzug Luft einhaucht. 

Marina Abramovic/ Ulay: "Breathe In / Breathe Out", Performance 1977

Existentiell, aber noch dramatischer - vor allem durch die starkfarbigen Pigmente - sind die Performances von Judy Chicago, die sie als Video aufgezeichnet hat. Weißgekleidete Frauen in der Wüste sitzen im Kreis und werfen Farbpulver in die Luft, die vom Wind über die Landschaft verweht werden. Judy Chicago selbst kommt nackt auf die Kamera zu - mit rotem Farbpulver bedeckt – und lässt dieses Pulver vom Wind verwehen. Seit 1968 begann die Künstlerin mit ortsspezifischen, pyrotechnischen Installationen mit Titeln wie "Atmospheres" oder "Smoke Bodies" zu arbeiten, um nach Meinung der Künstlerin vorgefundene Orte zu 'feminisieren'. Was daran weiblich ist, weiß Judy Chicago alleine, vorausgesetzt man subsumiert farbgewaltig rituell/ spirituell und epressiv nicht generell als Essenz des Weiblichen. Die Fotostrecke – Videostills aus den im Video zu sehenden  Performances - gibt ebenfalls keinen Aufschluss darüber, was eine 'weiblichere' Welt bedeuten könnte.

Judy Chicago: "Atmospheres", Performance 1968

Vermeintlich erwartbar, einfach schön ist das Triptychon der Wolkenbilder "Clouds" von Andreas Gefeller, mit denen er weder das Göttliche noch die Sehnsucht nach Entgrenzung wie in der Romantik meint. Denn seine Wolkenbilder sind Fotos von Wasserdampfemissionen, die aus den Kühltürmen eines Kohlekraftwerks emporsteigen und zeigt damit, wie sehr das, was wir zu sehen glauben, durch kulturell geprägte Assoziationen verfälscht wird.

Rikuo Ueda: "Osaka - der erste Wind des Frühlings".

Eine lohnende Entdeckung sind die feinfühligen, filigranen Zeichnungen von Rikuo Ueda, die erst durch den Begleittext den Bezug zum Element Luft erklären. Seine Zeichnungen nennt er zum Beispiel "Wind 14. Februar 2004" oder "Osaka - der erste Wind des Frühlings". 


Blick in die Ausstellung -  im Hintergrund Andreas Gefeller: "Clouds", Inject Print, 2019

Eine aufwändige, technisch anmutende Installation von Reagenzgläsern, Schläuchen und trübem Wasser zeigt Martin Werthmann mit seiner "Diamant-Atem-Maschine". Der Begleittext verdeutlicht, worum es ihm geht. Durch Pusten wird ein Prozess in Gang gesetzt, der durch Druck Kohlendioxid und Magnesium aufspaltet. Am Ende eines langen, technisch komplexen und zeitlich langwierigen Prozesses wird der Kohlenstoff zu Diamant.

Martin Werthmann: "Diamant - Atem- Maschine", 2010 / 2021

Neben diesen erklärungsbedürftigen Installationen, die so viel Präsenz beanspruchen, finde ich die Arbeiten am überzeugendsten, die das Element Luft für sich sprechen lassen und dafür minimalistische  Ausdrucksformen entwickelt haben. Yoko Onos Zitat an der Wand des Ausstellungsraumes

 "When people ask me what  the most important thing is in life I answer: 'Just breathe' "

könnte dazu der Übertitel sein. Von ihr sind die poetisch anmutenden Kaugummiautomaten mit den durchsichtigen Kugeln darin. 

Yoko Ono: "Air Dispenser", Kaugummiautomaten, Kugeln, 1971/2022
Nur durch den abgedunkelten Raum sichtbarer Wasserdampf zeigt die Installation von Lyoudmila Milanova und Steffi Lindner und bezaubert durch seine ätherische, zurückhaltende Präsenz: Wasserdampf, der sich in die Luft erhebt und langsam zerstäubt wird.

Lyoudmila Milanova und Steffi Lindner: "The Sky Eludes All Attempts At Planning"
2017, kinetische Skulptur mit Nebelmaschine

Ebenso ätherisch ist das in einer schachtartigen Nische des Museums aufgehängte Weihrauchgefäß, das den Weihrauch mehr fühlbar, als sichtbar in eleganten, fadendünnen Säulen nach oben verteilt und für mich vieles spirituell Bemühte anderer Werke durch bloße Schlichtheit in den Schatten stellt. Leider konnte ich den / die Künstlerin dazu nicht ermitteln (wird nachgeholt).

Aber am schlichtesten ist die schlanke Glaskuppel, die die Luft darin einschließt und damit auch die Luft außerhalb der Glaskuppel bei entsprechender Fantasie, die durch diese Schau genügend inspiriert wird, unsichtbar mitmeint - die eingeschlossene Luft im Gefäß und die das Gefäß umfließende Luft ausserhalb als klassisches Modell von Form und Leere. Nicht ganz zufällig warb das Kunstmueum Bonn gerade mit dem Foto dieses Werks für die Ausstellung: Einfach Luft.

Timm Ulrichs: "META-ATEM, Über Inspiration und Exspiration", 1976 

Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch

 

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