Der transatlantische Sklavenhandel wurde zur größten Zwangsumsiedlung der
Menschheit, bei der schätzungsweise elf Millionen Menschen zwischen dem
17. und 18. Jahrhundert in die Neue Welt und nach Europa verschleppt
wurden. Dieses immense Ausmaß konnte von den Opfern naturgemäß kaum
dokumentiert werden. Dennoch gibt es einige wenig bekannte, spärliche
Zeugnisse von Betroffenen.
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Fußfessel für Sklaven, Musée de la civilisation.celtique / Bibracte,
Frankreich.Foto: wikimedia, Quelle Urban
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In einer mehrteiligen Serie zum Sklavenhandel und ihren unterschiedlichen
Folgen habe ich bereits einige dieser Zeugnisse vorgestellt - so die
Die Prinzen von Calabar des Historikers Randy J. Spark, der den spannenden Briefwechsel zweier
irrtümlich in die Sklaverei verschleppter, nigerianischer Sklavenhändler in
historische Zusammenhänge bringt oder die
Aufzeichnungen Jan Stedmans, der fünf Jahre lang in Surinam Sklavenaufstände im Namen der britischen
Krone niederschlug. In ihnen wird dieses belastende Thema weg von der
bloßen Aufzählung geschichtlicher Fakten hin zu anschaulichen Geschichten
von Einzelschicksalen verlagert, die trotz ihrer Einzigartigkeit, aber
gerade durch ihre unterschiedlichen Perspektiven erhebliche Teile des
blutigen Geschäfts beleuchten.
In ihren Aufzeichnungen "
Deeper Wrong or Incicdents in the Life of a Slave Girl" von 1862 beschreibt Linda Brent ihr Sklavenleben als Besitz von Dr. Flint
und seiner Frau in North Carolina, die sie derart quälen, dass sie sich zur
Flucht entschließt
(s.Teil 1).
Linda flieht - zunächst erfolglos und mit der Hilfe eines schwarzen
Helfers - durch die Sümpfe und hinterlässt ihre beiden Kinder unter größten
Gewissensqualen in der Obhut ihrer Großmutter. Sie weiß, dass diese
ein Faustpfand in den Händen ihres Besitzers ist. Sie übersteht die Sümpfe
nicht, ein Schlangenbiss zwingt sie in der folgenden Nacht zur Rückkehr, die
ihr tatsächlich untentdeckt gelingt. Sie findet Unterschlupf bei einer
Freien in unmittelbarer Nähe zum Gut der Flints. Ihre Großmutter und deren
Freundinnen pflegen sie gesund, verstecken und versorgen
sie - ganze sechs Jahre lang! Ihre Kinder dürfen nichts von ihrer Rückkehr
wissen, um sie nicht zu verraten, auch muss die Versorgung und das
Überbringen von Nachrichten über die rastlose Suche nach ihr höchst geheim
erfolgen.
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Alabama River Swamp, Author Bill Sutto, wikmedia commons
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Was Lindas Aufzeichnungen für uns Nachgeborene am
wertvollsten macht, sind ihre eindringlichen Schilderungen der
Lebensbedingungen von Ex-Sklaven in der sogenannten freien Welt, weil sie so
wenig bekannt sind. Die Sümpfe der Südstaaten waren der elende Tod vieler
flüchtenden SklavInnen wie das Mittelmeer für die heutigen Geflüchteten. Die
Bluthunde der Menschenjäger tun dabei ihr Übriges. Gescheiterte
Fluchtversuche, der zu Tode gehetzten, von Hunden zerfleischten KameradInnen
dürften der Tiefpunkt im Leben der SklavInnen gewesen sein. Ein weiteres,
ähnlich schlimmes Trauma ist die vielfach beschriebene Angst vor dem Verkauf
der eigenen Angehörigen, am schlimmsten die der eigenen Kinder, die auch
Linda Brent ausgiebig beschreibt.
Ihre erneute Flucht
gelingt und ihre Ankunft in New York gestaltet sich ausgesprochen positiv
und ist von den kirchlichen Vertretern der Abolitionisten gut vorbereitet.
Das Netzwerk in den Nordstaaten funktioniert gut. Sie erfährt von ihrer
Tochter Ellen, die schon vor ihr geflohen ist und die in Philadelphia
in Stellung als Dienstmädchen arbeitet. Später stößt auch ihr Sohn Billy
hinzu und sie sieht ihren Bruder William wieder, der nach mehreren
gescheiterten Fluchtversuchen und drakonischen Strafen bereits vor vielen
Jahren den Sprung in den Norden geschafft hat. Darum hält sie nichts in New
York und sie zieht weiter nach Philadelphia, um bei ihrer Tochter zu sein.
Erschüttert stellt sie fest, dass Ellen weiter als Sklavin angesehen
wird, eine Geflohene, die immer noch kein Recht auf ein freies Leben hat.
Sofort entsteht in ihr der Wunsch, sie freizukaufen. Sie selbst findet
Anstellung bei einer Mrs. Bruce und aufgrund der Behandlung ihrer Tochter
als Unfreie gibt sie sich selbst als Freie aus, um nicht ebenfalls weiterhin
als Sklavin gedungen zu werden. Auch erkämpft sie für ihre Tochter
Unterricht in Lesen und Schreiben, die sie aus eigener Tasche
finanziert.
Mit Mrs. Bruce unternimmt sie auch Ausflüge in die nähere Umgebung. Dabei
stellt sie fest, dass sie weiterhin als
'Negro' behandelt wird und
nicht gleichberechtigt neben ihrer Dienstherrin sitzen und bewirtet werden
darf. Um so bitterer ist diese Erkenntnis der fortdauernden Diskriminierung
als sie u.a. von einem schwarzen Angestellten des Platzes verwiesen wird.
Abteilungen nur für Schwarze gibt es zu dieser Zeit noch nicht. Das
Apartheidregime war noch nicht institutionalisiert. Linda Brent will sich
aber durch nichts in ihrer Menschenwürde einschränken lassen und greift in
ihrem Protest der Weigerung
Rosa Parks vor, die im Bus nicht mehr ihren Platz verlässt, der nur für Weiße
reserviert ist und damit die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre auslöste.
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Rosa Parks being fingerprinted on February 22, 1956, by
Lieutenant D.H. Lackey as one of the people indicted as
leaders of the
Montgomery bus boycott,wikimedia commons
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Die Spannungen zwischen den Nord- und den Südstaaten der USA nehmen zu.
Immer mehr freigekaufte ehemalige Sklavinnen sowie Geflohene erreichen den
Norden und die Sklavenhaltergesellschaft wird brüchiger. Auch erstarkt die
Abolitionistenbewegung, die überwiegend von der weißen Bevölkerung getragen
wird, die mit dem Christentum argumentiert. Kein Christ darf eine Ware sein,
somit ist das Verbot der Sklaverei für die Abolitionisten kein allgemeines
Menschenrecht - die
Menschenrechte
werden erst 1948 als Folge des Zweiten Weltkrieges formuliert. Nur für die
zum Christentum konvertierten SklavInnen wird die Menschenwürde zugestanden
- von gütigen weißen Kirchenvertretern verliehen. So wird sie für die
verschleppten Menschen eine starke Triebfeder, scharenweise zum Christentum
überzutreten, um damit ein Anrecht auf Freiheit zu erlangen.
Ein ähnlicher Anreiz entsteht bei der Rekrutierung für die
Sezessionskriege, bei der Sklaven, denen die Freiheit versprochen wird, als Soldaten
angeheuert werden. Sie sollen gegen die Nordstaaten kämpfen, die die
Sklaverei aus ökonomischen Gründen abschaffen wollen - ein besonders
bizarrer Umstand, als Sklave für den Fortbestand der Sklaverei zu kämpfen.
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James Hamlet, first person returned to slavery through the Fugitive
Slave Law of 1850, in front of New York City Hall, 17, October 1850, public domain
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Auch in Philadelphia ist Linda Brent immer noch nicht vor den
Nachstellungen Dr. Flints sicher. Er hat herausgefunden, wohin sie
geflohen ist und lässt ihr einen Brief zukommen - angeblich von seiner
Nichte geschrieben - in dem in heuchlerischem Ton um ihre Rückkehr
gebeten wird, nicht ohne den Versuch, sie mit ihrer kranken Großmutter
zu erpressen. Ohne sich zu verabschieden verlässt sie daraufhin ihre
Stellung und flieht nach Boston. Trotz der Güte ihrer Arbeitgeberin Mrs.
Bruce, kann sie sich nicht entschließen, ihr die Wahrheit zu offenbaren.
Inzwischen gibt es ein Gesetz, dass die weiße Bevölkerung aufruft,
geflohene SklavInnen zu denunzieren. Dies ist zunächst ein Zugeständnis
an die Südstaaten, wo man ja für die 'Ware' bezahlt hat und nun um diese
geprellt wird - ein Argument, dass in einer Gesellschaft, die sich
gerade zunehmend kapitalistisch entwickelt, als rechtsgültig anerkannt
wird. Linda und mit ihr viele andere ducken sich angstvoll unter diesem 'Bluthundegesetz‘, vermeiden die Öffentlichkeit, fürchten die Hehler und die Polizei,
die sie erneut in die Sklaverei bringen können.
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Bostoner Plakat aus dem Jahre 1851, das entflohene Sklaven davor
warnt, dass sie mit Hilfe der Polizei zu ihren früheren Besitzern
zurückgebracht werden könnten, public domain
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Schweren Herzens entschließt sie sich nun doch, Mrs. Bruce ihre Lage zu
gestehen, auch dass sie erneut gesucht wird, um sie wieder als Sklavin
gefangen zu nehmen und wie sehr man ihr bereits auf der Spur ist. Nichts
verwindet Linda Brent weniger, als dass Mrs. Bruce die Verhandlungen mit der
Flint-Familie und der inzwischen volljährigen Nichte Dr. Flints aufnimmt und
um ihren Kaufpreis zu feilscht. Auch, als sie trotz ihrer Weigerung,
'gekauft' zu werden, für 300 Dollar 'erworben' wird, um unbehelligt als
Freie leben zu können und nicht, um zum Besitz von Mrs. Bruce zu werden
kann, erbittert sie bis zum Schluss ihrer Aufzeichnungen: Die Tatsache, dass
sie auch in der sogenannten freien Welt nur 'frei' wird, als man sie als
Ware behandelt und freigekauft hat. Sie zeigt mit ihren ungeschminkten
Beobachtungen auf, dass auch die Nordstaaten den Schwarzen keine
Gleichberechtigung einräumt - bis heute! Trayvon Martin, Breonna Taylor und
George Floyd - von der Polizei ermordet - sind Zeugnisse über einen großen
Teil der weißen Bevölkerung, die sich nicht damit abfinden kann, dass die
Nachkommen der SklavInnen nun zur US-amerikanischen Gesellschaft
gehören.
Die Bewegung
Black Lives Matter macht deutlich, dass es eine direkte Verbindung zum Kampf der
befreiten SklavInnen um ihre Rechte
gibt
, einem Kampf, der vor
fast 250 Jahren begonnen hat und den rassistischen Charakter der
US-amerikanischen Gesellschaft immer noch nicht überwunden hat. Das ist umso
beschämender, als die afroamerikanische
Community ihre eigene
beispiellose Kultur entwickelt hat. Ihre internationalen Einflüsse vor
allem in der Musik sind der überwiegend weißen, hochgejubelten
Popkultur nur Wenigen bewusst. Dies könnte ein Teil der amerikanischen
Identität sein, auf die die USA zu Recht stolz sein könnte. Sie könnte damit
auch dem Teil ihrer Geschichte konstruktiv begegnen, die von Unterdrückung
geprägt ist: Den Sklavenhaltergesellschaften der Südstaaten. Der Genozid an der
Urbevölkerung, deren Nachkommen bis heute in den Reservaten leben,
bleibt damit noch völlig unbearbeitet.
Zur teils wenig bekannten musikalischen Tradition von AfroamerikanerInnen
hier zwei Beispiele mit den sogenannten 'marching bands' aus den
Südstaaten der USA:
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