Freitag, 25. Dezember 2020

Geschichten aus der Sklaverei:

Born in Slavery - Die Aufzeichnungen von Linda Brent (Teil 1)

Der transatlantische Sklavenhandel wurde zur größten Zwangsumsiedlung der Menschheit, bei der schätzungsweise elf Millionen Menschen zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert  in die Neue Welt und nach Europa verschleppt wurden. Dieses immense Ausmaß konnte von den Opfern naturgemäß kaum dokumentiert werden. Dennoch gibt es einige wenig bekannte, spärliche Zeugnisse von Betroffenen.

Fußfessel für Sklaven, Musée de la civilisation.celtique / Bibracte, Frankreich.Foto: wikimedia, Quelle Urban
In einer mehrteiligen Serie zum Sklavenhandel und ihren unterschiedlichen Folgen habe ich bereits  einige dieser Zeugnisse vorgestellt - so die Die Prinzen von Calabar des Historikers Randy J. Spark, der den spannenden Briefwechsel zweier irrtümlich in die Sklaverei verschleppter, nigerianischer Sklavenhändler in historische Zusammenhänge bringt oder die Aufzeichnungen Jan Stedmans, der fünf Jahre lang in Surinam Sklavenaufstände im Namen der britischen Krone niederschlug.  In ihnen wird dieses belastende Thema weg von der bloßen Aufzählung geschichtlicher Fakten hin zu anschaulichen Geschichten von Einzelschicksalen verlagert, die trotz ihrer Einzigartigkeit, aber gerade durch ihre unterschiedlichen Perspektiven erhebliche Teile des blutigen Geschäfts beleuchten.
 
Die Aufzeichnungen von Linda Brent bieten die seltene Chance, die Sklaverei aus der Sicht einer Frau nachzuerleben, die als Nachgeborene nicht zu den aus Afrika Verschleppten gehört, sondern in North-Carolina in die Sklaverei hineingeboren wurde. In ihren Aufzeichnungen "Deeper Wrong or Incicdents in the Life of a Slave Girl" von 1862 beschreibt sie, wie sie zunächst ihre Herrin und deren Familie als Teil ihrer eigenen Familie wahrnimmt und sich gar nicht als deren Besitz  ansieht. Diese bringt ihr Lesen und Schreiben bei. Erst nach deren Tod wird ihr klar, dass auch sie - trotz ihrer vergleichsweise hellen Hautfarbe - eine Sklavin ist.
 
1862 painting of a Slave Auction by Lefevre James Cranstone, Collection of Virginia Historical Society, public domain U.S., wikimedia commons 
 
 
Lindas Mutter ist denn auch das Kind einer Liebesbeziehung mit einem Sklavenbesitzer. Dieser spricht die Mutter und die gemeinsamen Kinder, Linda und Billy nach seinem Tod frei. Dies war jedoch - wie alles, was Sklaven je versprochen wurde - rechtlich nicht bindend. Befreite Sklaven wurden damit zum Freiwild. Sie konnten zu dieser Zeit auch direkt in den USA beschafft werden, die von eigens spezialisierten Hehlern beschafft wurden. Auch Harriet Speecher-Stowe - ebenfalls in diesem Blog besprochen -  beschreibt dieses Geschäft in ihrem berühmten Roman "Onkel Tom's Hütte", was beweist, wie die Handlung in ihrem Roman durch Fakten unterfüttert ist. 

Also gerät auch Lindas Großmutter trotz ihrer "Befreiung" erneut in die Sklaverei. Lindas Mutter war folglich eine begehrte, weil hellhäutige Mulattin, wie auch Linda Brent selber. Wo ihr Vater herkam, erzählt sie allerdings nicht. Aber Linda fühlt sich wie eine Weiße, sieht keinen Unterschied zwischen sich und den weißen Kindern ihrer Umgebung, mit denen sie zusammen aufwächst. Widersprüchlich wirkt in diesem Zusammenhang, dass sie gleichzeitig hofft, dass ihre Herrin sie -  wie diese es versprochen hat - freigibt.  Sie sieht sich also nicht als frei an, aber offensichtlich auch nicht als Sklavin. Dieses Versprechen hält ihre Herrin nicht. Vielmehr überschreibt sie Linda zusammen mit ihrem Bruder der Nichte ihres Bruders, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährig ist. So kommt Linda in die Obhut ihres Onkels Dr. Flint, der ihr das Leben mit seinen sexuellen Nachstellungen zur Hölle macht. Voll Eifersucht und Hass verfolgt und quält sie auch dessen Frau Mrs. Flint.   

Female slave quarters, Mount Vernon, wikimedia commons, Author Tim Evanson
 
Neben diesen Quälereien sind es vor allem die wenig bekannten Details aus dem damaligen Leben der Sklaven und Sklavinnen, die dieses Selbstzeugnis so spannend machen: So gab es sowohl Sklaven, die sich selbst freigekauft haben als auch Sklaven, die ähnlich wie Leiharbeiter an umliegende Manufakturen ausgeliehen wurden. Dafür erhielten ihre Besitzer Geld, wovon ein Teil allerdings beim Leihsklaven verblieb. Dieses Privileg genossen vor allem die gut Ausgebildeten. Ihre Arbeit und vor allem ihre Disziplin waren sehr geschätzt. Ihre Motivation war enorm, da sie hofften, sich über jahrelange harte Arbeit eines Tages freikaufen zu können. (Auch diese Situation begegnet uns in "Onkel Tom's Hütte".) Lindas Vater war ein solch begehrter und hochmotivierter 'Leihsklave'. Aber noch bevor er sich und seine Kinder freikaufen kann, stirbt er.

Ein weiterer, wenig bekannter Umstand ist, dass etliche Ländereien durch Misswirtschaft und Unkenntnis über Landwirtschaft brachlagen und sich die Farmer über den Verleih ihrer Sklaven ökonomisch über Wasser hielten und sich teils sogar bei ihnen Geld liehen. So leiht auch Lindas Besitzerin sich Geld von ihrer Großmutter. Diese verdient sich ein Zubrot durch den Verkauf selbstgebackener Kekse, die sie nach ihrer Sklavenarbeit abends mit besonderer Erlaubnis eines solchen Nebenerwerbs in der Nacht bäckt. Über diesen Verdienst kauft sie sich schließlich frei. Diese Freikäufe sind eine von vielen Praktiken, die die US-Sklavenhaltergesellschaft als eine ebenso fluktuierende wie widersprüchliche Gesellschaft skizzieren.
 
Viele Farmer sind verschuldet. Stirbt ein Farmer, werden seine SklavInnen und Ländereien einfach umverteilt, sofern der verstorbene Besitzer sie in seinem Testament nicht freigesprochen hat. Diese Freisprüche geschehen teils aus schlechtem Gewissen und abergläubischer Angst vor der christlichen Hölle nach dem Tod, teils aus echter Zuneigung und Dankbarkeit. Eine solche Freilassung spricht sich unter den Sklaven herum wie ein Lauffeuer und nährt die Hoffnung aller anderen.

Viele dieser befreiten SklavInnen machen sich auf die Suche nach ihren Familien, die teils durch Weiterverkäufe oder Flucht verstreut sind. Das Aufspüren solcher teils verschollenen Angehörigen sowie die Findigkeit, mit der geflohene SklavInnen unterstützt und versteckt werden, verblüfft immer wieder aufs Neue. Ebenso erstaunt, wie die nicht geringen Summen für die Transfers per Schiff und Zug, die Ernährung und Unterbringung der Flüchtenden bis zur sicheren Weiterreise aufgebracht werden. Dabei spielt auch die Unterstützung der Antisklavereibewegung - ausgelöst durch die Methodisten und Quäker - eine große Rolle. 

The 1688 Germantown Quaker petition against slavery, wikimedia commons, public domain
 
Die sexuelle Gewalt gegen Frauen wie Männer und ihrer Kinder, die Auspeitschungen als eine der vielen Folterstrafen, das Schlafen auf dem nackten Boden vor der Türe der Herrschaften, das  Aushungern u.v.m. nehmen verständlicherweise einen großen Raum in Lindas Aufzeichnungen ein. Die weißen Ehefrauen der Farmer oder selbst Landgutbesitzerinnengehen gehen dabei genauso grausam vor wie  die Männer. Linda Brent ist selbst ständiges Opfer von Mrs. Flint, die ihre Eifersucht an ihr blind in körperlichen Züchtigungen auslebt.

Immer wieder wird vom immensen Christenglauben dieser Menschen berichtet, was heute nur noch schwer nachzuvollziehen ist. In den Gottesdiensten, die sie mit gnädiger Erlaubnis ihrer Herrschaften oft nur auf freiem Feld abhalten dürfen, bestärken sie sich immer wieder der Fürsorge Gottes. Er wird sie - wenn nicht auf Erden - so doch wenigstens nach ihrem Tod im Himmelreich befreien und als vollwertige Menschen anerkennen. Jede/r der zahlreichen Toten, die Hunger, Folter, Auszehrung oder blankem Mord zum Opfer gefallen sind, werden christlich bestattet, und offensichtlich wagen es selbst die grausamsten SklavenhalterInnen nicht, dieses Ritual zu verbieten. 
 
Anders war es mit der Erlaubnis zum Heiraten. So wird Linda eine Heirat verweigert; vielmehr zieht sie mit ihrem Heiratswunsch die maßlose Wut ihres Besitzers Dr. Flint auf sich - um so mehr, als sie trotz dieses Verbots schwanger wird. Ihr Liebhaber ist ein Freigelassener, der auch sie freikaufen oder ihr zur Flucht verhelfen will. Aber alle Versuche, mit Dr. Flint über einen Kaufpreis zu verhandeln, scheitern, weil dieser immer wieder darauf verweist, bis zur Volljährigkeit seiner Nicte lediglich kommisarischer Besitzer Lindas zu sein.  
 
Gefangener in Ubangi im französisch besetzten Kongo
von François Leray 1905 / wikimedia commons



 
Linda bekommt zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Das zweite Kind - sie erwähnt es bis zum Schluss ihrer Aufzeichnungen nicht - wird sehr wahrscheinlich bei einer Vergewaltigung durch Dr. Flint gezeugt. Dieser Schluss liegt nahe, weil ihr Liebhaber zu diesem Zeitpunkt schon geflohen ist. Das ist Lindas größte Scham neben der Schmach, eine Ware zu sein und wie ein Stück Vieh jederzeit weiterverkauft zu werden. Aus diesem Grund zieht sie die Flucht vor dem verhassten Feilschen um ihren Preis vor, deren Freikauf Dr. Flint - unerbittlich  lüstern und besitzergreifend hinter ihr her -  ohnedies niemals gewähren würde.   
 
Teil 2 folgt
Text und Bildauswahl: Ina Zeuch 
 
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