Freitag, 7. Januar 2000

Das Überleben sichern - Künstler in Kenia

Wenige Kilometer von Nairobi entfernt - im YMCA-Gebäude - befindet sich der Sitz der Ngecha Artists Association. Wer von Nairobi ins 40 Kilometer entfernte Ngecha fährt, sieht sich tief in ländliche Idylle verschlagen. Eingehüllt in den Staub der roten Lateriterde reihen sich die Bretterbuden der Verkaufsläden an der Straße. Esel mit Leiterkarren sind das übliche Transportmittel der Farmer, die hier die Mehrheit bilden. Das Umland von Nairobi ist bergig und fruchtbar und deshalb musste der Wald dem Terrassenfeldbau weichen. Der englischen Kolonialmacht ist es hier im Gegensatz zu Kolonien in Westafrika gelungen, die Kenianer zum Reisanbau zu zwingen. Dieses rabiate Vorgehen sieht man der Landschaft auch heute noch an.
Niemand würde hier draußen eine der aktivsten Künstlergruppen des Landes vermuten. Doch nur wenige Schritte von der Durchgangsstraße entfernt befindet sich der Sitz der Ngecha Artists Association (Künstlervereinigung von Ngecha) im YMCA-Gebäude , das von der Kirche unterhalten wird. Einer der winzigen Räume wird von den Künstlern genutzt. Hier finden ihre Workshops statt, hier besprechen sie ihre Ausstellungen und neue Projekte. Reihum schieben sie zu festen Zeiten Bürodienst, sind ansprechbar für Besucher. Von jedem Künstler sind mehrere Werke zu sehen und das Büro dient so auch als Ausstellungsraum.

NgechaIn dem dicht mit Bildern behängte Raum zeigen sich dem Besucher Werke unterschiedlichster Stile und Qualität. Am Boden stehen Holzskulpturen, weitere Bilder lehnen an den Wänden. Alle Kunstwerke sind käuflich, 20 Prozent der Erlöse bleiben in der Kasse der Ngecha Artists zur Finanzierung von Material und Projekten.
Francis Mbugua hat sich eine Art Schuppen neben seinem Haus gezimmert. Dort malt er und bearbeitet seine Holzskulpturen. Er ist der einzige, der westliche Maler als Vorbilder nennt. Vor allem die Malerei der Romantik hat es ihm angetan. Auch seine eigenen Bilder zeigen Landschaften. Dabei zieht er sich oft tagelang in die Natur zurück. Früher lebte er in Nairobi, der Übergang aufs Land fiel ihm schwer. Heute möchte er die Ruhe nicht mehr missen.

Wie Francis Mbugua arbeitet auch 'King Dodge', wie er mit seinem Künstlernamen heißt, in Malerei und Skulptur. Seine Kunst versteht sich als sozialer Kommentar zum gesellschaftlichen Leben. Dörfliche Enge, Armut und harte Landarbeit prägen die Motive. Anders geht Wakin Muhia mit ähnlichen Themen um. Sowohl in der Farbgebung wie in der Komposition zeigen seine Bilder eine große Einheitlichkeit. Die Figuren treten nur einzeln oder in Paaren auf, die Palette bleibt in monochromen Braun- bis Gelbtönen. Belebendes Grün akzentuiert die Umrisse. Die Bilder wirken melancholisch und introvertiert.
Moses Njoroge Chegeh möchte in seiner Kunst auf verlorengegangene Traditionen aufmerksam machen. Er spricht von der "Schönheit des Vergangenen". Seine Gruppenszenen arbeitet er auch als komplexe Skulpturen heraus.
Etwa zwanzig Künstler zählt die Vereinigung. Jeder kann Mitglied werden, hier arbeiten und etwas von sich ausstellen. Fast alle von ihnen arbeiten allerdings zu hause. - die meisten sind Autodidakten. Sowohl die Themen wie ihre Ausführung verraten eine bedrückende Einfachheit, wie sie sich auch in den Verhältnissen widerspiegelt. Ngecha ist bis auf wenige Straßen ohne Strom- und Wasseranschluss. Ein paradoxes Bild bieten die großen Blumenplantagen, die tagsüber bewässert und des Nachts künstlich beleuchtet werden: Ein Luxus den die Menschen hier nicht genießen.
Chain Muhandi, einer der Mitbegründer der Künstlervereinigung, wagt sogar den direkten politischen Kommentar. In einem Bild zur Wahl von 1997 zeigt er ein wildes Durcheinander von Menschen. Die wohlgenährten Agitatoren verteilen Geschenke und stecken einigen Wählern schmutzige Geldscheine zu. Daneben derbe Kneipenszenen, die Betrunkene und Erschöpfte zeigen, denen die politischen Parolen von einem besseren Leben wie Alkohol eingeflößt werden. Wegen solcher und anderer deutlicher Aussagen wurde er auch schon für ein paar Tage verhaftet. 1998 bekam er von der Heinrich-Böll-Stiftung ein sechsmonatiges Stipendium nach Deutschland. Nur die solidarische Gruppe ohne Zugangsbeschränkung kann seiner Meinung nach die Isolation der Künstler überwinden helfen.
So haben es die Ngecha Artists auch immer wieder zu gemeinsamen Ausstellungen gebracht. Dabei sind die Aktivitäten im wesentlichen auf Nairobi gerichtet. Im März 1999 stellten sie gemeinsam im Nationalmuseum aus, auch die Kontakte zum hiesigen Goethe-Institut sind gut. Daneben gibt es in Nairobi noch die Watatu-Galerie, die sich als zeitgenössische Galerie versteht, bislang aber mit zwiespältigen Konzept arbeitete: Vor vielen Jahren wurde sie von einer Schweizerin gegründet mit der Absicht, die touristischen Reize Ostafrikas bekannt zu machen. Die üblichen Landschaftsidyllen, Safarimotive wie Löwen und Elefanten zierten die dort ausgestellten Werke und brachten kommerziellen Erfolg. Derartige Themenausstellungen brachten viele Künstler dazu, aus finanzieller Not heraus den Markt zu bedienen. Heute zeigt die Galerie auch andere, authentischere Werke.
Muhandi, der bei einem Deutschlandaufenthalt Ausstellungen in Köln, Bonn und Frankfurt besuchte, konnte einen Einblick in den hoch spezialisierten Markt westlicher Kunst bekommen. Nairobi - auch die Drehscheibe Ostafrikas genannt - ist hiervon weit entfernt. Kunst ist hier eine marginale Angelegenheit, die meisten Kenianer kämpfen um ihre Existenz. Auch die Künstler von Ngecha besitzen etwas Land, dessen Ertrag zum Familieneinkommen beiträgt. Die wenigen privilegierten Künstler mit einer Ausbildung in Europa sind als afrikanische Künstler nicht mehr kenntlich. Sie bedienen sich der internationalen Sprache der Kunst und vermeiden oft ausdrücklich die klassischen, als afrikanisch bezeichneten Genres von Malerei und Skulptur. Viele der Künstler aus Ngecha werden nie die Chance haben, ihr Land zu verlassen. Sie sind auf das angewiesen, was Muhandi ihnen berichtet - und auf die wenigen Besucher, die trotz der beschwerlichen Anreise zu ihnen kommen und manchmal sogar etwas kaufen.


Dieser Beitrag ist zuerst bei Entwicklungspolitik Online erschienen. Text und Fotos von Ina Zeuch.

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