Mittwoch, 12. Januar 2011

Ist politische Kunst möglich? (2)

Daniel RichterHeiko Schäfer
Bilder aus den Wüsteneien der Desintegration

Daniel Richter malt meist großformatige, farbgewaltige Bilder, die auf mystische Weise Perspektiven der "Erniedrigten und Beleidigten" zeigen. Dabei sind die Boatpeople - Flüchtlinge mit nichts als dem nacktem Überleben und dem Entsetzen der entronnenen Strapazen noch im Blick - ein geradezu unverzichtbares Motiv für viele politisch motivierte Künstler.

Genauso brisant sind aber Richter's zahlreiche Bildmotive über die Außenseiter unserer eigenen Gesellschaft. Es sind die Paralleluniversen direkt vor unserer Tür, denen er differenziert und mit großer Verve Ausdruck verleiht. Und es ist seine Leistung, sie uns so fremd zu zeigen wie Navajoindianer in den Glamour- Einkaufsmeilen westlicher Metropolen.

Dabei ist es nicht nur das Kaputte, sondern die Andersartigkeit, das Exotische dieser Wesen, an denen wir mitten in unseren Städten vorüberziehen. Teils wirken die Figuren chimärisch, geisterhaft - wie aus einem außerirdischen Reich - lädierte Engel, die den grölenden, exaltierten Figuren beigesellt sind. Der größte emotionale Gehalt, den Richter dazustellen scheint, ist der Verlust an Menschlichkeit, an dem alle leiden - auch die, die noch dazugehören im rat-race-to death. Dabei gibt es auch Bilder, die wie gemalte Träume wirken, irgendwie wenig modern, aber von derselben Intensität.
 
Wichtig sind die städtischen Umgebungen, in die er seine komplexen Szenerien stellt. Sie könnten bei uns um die Ecke, vor Aldi, Lidl oder KIK sein, an traurigen Springbrunnen in Mini-Konsummeilen öder Wohngebiete. Etwas von dieser anderen Welt fehlt einem irgendwie - der Welt der Punks, Penner, Möchte-gern-Rockstars, die in spießigen Stadteillkonzerten abrocken - weil man ja selber auch irgendwie leidet. Aber man brüllt es nicht so heraus, während die Kaputtniks imstande sind, dem Leben noch vitalen Ausdruck zu verleihen.


Richter's Kunst ist damit in den meisten seiner Bilder nicht explizit politisch. Es ist vielmehr klammes  Unbehagen, das einen befällt, seinen giftigen, oft merkwürdig zerfaserten Farbschlieren nicht unähnlich und so diffus wie der erzwungene Gang durch weihnachtlich vermüllte Innenstädte - selbst wenn man sich längst nichts mehr schenkt. So entsteht mehr die Beschreibung eines sozialen Klimas, eines Verlusts von Vitalität, das offensichtlich nur noch bei den Outcasts nicht in Konsum aufgeht, sondern noch Geheimnisse birgt. (1), (2). 
Heiko Schäfer
Fast auf der anderen Seite der Skala - sowohl ästhethisch wie konzeptuell - befindet sich die Fotoserie "Maritime Incidents" von Heiko Schäfer. Darin lichtet der Künstler Flüchtingsboote aus der Vogelsperspektive ab - mit detaillierten Angaben zum Ort, wo das Boot aufgefunden wurde, wie viele Männer und Frauen aus welchen Ländern sich in dem Boot befanden und in welches Lager die Flüchtlinge gebracht wurden. Nüchtern und dokumentarisch entfaltet die Arbeit gerade dadurch ihr emotionales Potential: Die Aufsicht auf die Boote, die den winzigen Innenraum des Bootes wie ein ausgeschnittenes Loch zeigt und die spärlichen Hinterlassenschaften der Menschen geben dem Betrachter genügend Anhaltspunkte, um die Situation vor seinem inneren Auge zu entfalten.

Der Titel "Maritime Incidents" kommt dabei sehr neutral daher - sogar recht unpolitisch, handelt es sich doch mehr um Verzweiflungstaten von Menschen. Auch werden die Boote systematisch abgefangen, konfisziert und die Flüchtlinge immer häufiger zurückgeschickt. Das ist ja kein Regenschauer oder eine zufällig entstandene Situation. Die Zurückhaltung in den Arbeiten verstärkt die Aussage, der Titel dagegen schwächt ab. Hier zieht der Künstler sich hinter einer vermeintlich neutralen Position zurück, während er doch in den Fotos wie in den Angaben zu den Fotos viel politischer wirkt. Obwohl die Abbilder selbst bei einem Künstler immer im Zentum stehen, zählt bei einer so streng dokumentarischen Arbeit alles mit, also auch der Titel.

Stark dagegen ist die symbolische Kraft, die von den Fotos ausgeht: das Boot, schon durch die biblische Arche Noah aufgeladen und dem xenophob-populistischen Slogan "Das Boot ist voll" schmerzlich erneut ins Bewusstsein getreten, zeigt kümmerliche Holzboote - leer, armselig ausgestattet und abgewrackt. Schwerlich lassen sich in ihnen die bedrohlichen "Flüchtingsströme" unterbringen, die so gerne propagiert werden. Diese Boote könnten zum Wahrzeichen und Trauma unserer Zeit werden, die uns daran hindern, zu behaupten, wir hätten mal wieder nichts gewusst.     

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