Auf einen Roman aus Pakistan zu stoßen, ist an sich schon etwas Besonderes. Aber ein Roman - geschrieben von einem ehemaligen Offizier der Pakistanischen Luftwaffe - dessen gesamte Handlung in der Armee und höchsten diplomatischen Kreisen spielt, verspricht, etwas von einer Welt in einem Land zu vermitteln, über das fast nur Klischees existieren. Hanif's "A Case of Exploding Mangoes" stand lange auf der Liste des Man Booker Prize, und das Buch ist stilistisch und literarisch tatsächlich ein wahrer Leckerbissen.
Ganz lapidar wird man schon mit dem ersten Satz ins Zentrum der Geschichte geworfen, ein Hinweis auf den Show-Down am Ende, mit dem gar nicht groß gegeizt wird. Hier wird direkt zu Anfang mit der großen Kelle ausgeteilt: "You might have seen me on TV after the crash" und beschreibt die Szenerie um ein abgstürztes Flugzeug, in dem der Präsident, seine engsten Militärs und der amerikanische Botschafter Pakistans verbrannten. Und ungehemmt böse feiert der Ich-Erzähler sein Überleben, denn auch er hätte beinahe in dieser Maschine gesessen.
"What they found in the wreckage of the plane were not bodies, not serene-faced martyrs, as the army claimed (...) They found remains. Bits of flesh splattered on the broken aeroplane parts, charred bones sticking to mangled metal (...) I was the one who got away."
Wir sind erst auf der zweiten Seite des Romans, und wer solchem Realismus nicht standhält, hat nicht viel Zeit verschwendet. Shigri, der Ich-Erzähler, ist der Sohn eines hohen Offiziers, dessen Vater von Mal zu Mal in moralisch desolaterem Zustand aus seinen Afghanistan-Einsätzen gegen die Russen zurückkehrt und einen unehrenhaften, rätselhaften Selbstmord begangen haben soll. Der Ich-Erzähler - hämisch überlebender Held dieser Geschichte - wechselt mit der Innensicht weiterer Figuren in der dritten Person ab: der des Präsidenten Mohammed Zia-ul-Haq, selbst ein Militär, der sich an die Macht geputscht hat, dessen Frau, dem amerikanischen Botschafter und einigen weiteren Personen.
Hanif spart nicht mit präzisen und höchst heiklen Insiderbeschreibungen über den Ablauf eines Kasernenlebens, zum Beispiel die permanente sexuelle Unterversorgung - vor allem der unteren Ränge- die zu einer derben Sprache und zu homosexuellen Neigungen führt. Dazu kommt die ständige Wachsamkeit gegenüber den Schwächen des Führungspersonals und vor allem das Strafsystem innerhalb der Armee. Das alles spielt sich vor dem Hintergrund akuter Alarmbereitschaft gegenüber einem möglichen Attentat ab.
"There is something about these bloody squadron leaders that makes them think that if they lock you up in a cell, put their stinking mouth to your ear and shout something about your mother they can find all answers. (...) Look at the arrangement of their fruit salad on my tormentor's chest (...) and you can read his whole biography. A faded paratrooper's badge is the only thing that he had to leave his barracks to earn. The medals in the first row came and pinned themselves to his chest. He got them because he was there. The 40th Independence Day medal (...) Today-I-did-not-jerk-off medal (...)"
Ähnlich ätzend ist die Beschreibung des höchst beschränkten Aktionsradius' des Präsidenten, General Zia, dessen realer Name hier ungeschminkt auftaucht und den Rest der Geschichte als ebenso wahr vermuten lässt. Gefangen in seinen eigenen Sicherheitscodes, die ihn komplett im Präsidentenpalast gefangen halten, ist er umgeben von Ja-Sagern, die jeden Satz lange diplomatisch abwägen, bevor sie ihn aussprechen. Diktatur ist anstrengend. Unablässig muss die Maschinerie der Macht inszeniert werden: Wohltätigkeitsveranstaltungen mit bezahlten Statisten, die permanente Absprache mit dem Informationsministerium, dem Sicherheitskader, immer eskortiert von einem militärischen Apparat, der selbst die höchste Bedrohung für einen Militärdiktator bildet, entstammt er doch selbst dieser Brut...
Hier eine wenig schmeichelhafte Beschreibung des Präsidenten, der unter den scharfen Augen seines durchtrainierten Untergebenen gescannt wird wie ein siechender Patient:
Hier eine wenig schmeichelhafte Beschreibung des Präsidenten, der unter den scharfen Augen seines durchtrainierten Untergebenen gescannt wird wie ein siechender Patient:
"I take my first proper look at him. Instead of General Zia, he looks like his impersonator. He is much shorter than he appears on television, fatter than he seems in his official portraits. It looks as if he is wearing a borrowed uniform... Forty-five years of military service and he still doesn't have any control over his movements."
Diktaturen und ihre Widersprüche mit ihrem merkwürdigem Machtvakuum im Zentrum der Macht - das alles wird nicht zum ersten Mal beschrieben. Aber hier wirkt es beonders authentisch durch die militärische Vergangenheit des Autors und durch seine mitleidlose Sprache. Wer vermutet in einem pakistanischen Roman Homosexualität in der Armee und respektlose Äúßerungen zum Islam, einen lächerlich gemachten Diktator oder Männer, die Angst haben? Die Geschichte von Hanif's Helden, der in diesem Labyrinth aus Lügen und Demütigungen, Heldentaten und Karriereversprechen mühsam die Wahrheit über den Tod seines Vaters heraus zu finden sucht, ist trotz dieser Härte berührend. Dieser unversöhnliche Hass, der Shigri vorwärtstreibt, ist auch die Liebe zu seinem Vater und der Wunsch, den Apparat zu durchdringen, der ihn geprägt hat und an den er vielleicht sogar bereit war zu glauben. Denn die ehemals systemkonformen Feinde sind die gefährlichsten - fürwahr! Shigri's Intelligenz und die tägliche Nähe über die Abläufe in der Armee und sein Zugang zu brisanten Details lassen ihn eine höchst originelle Strategie entwickeln.
Wie also kommt es zum Absturz? Diese Spannung hält Hanif als schwebende Frage bis zum Schluss aufrecht. Erst im letzten Fünftel des Buches kommt das Motiv der Mangos ins Spiel, die dem Ganzen eine lächerliche Krone aufsetzt. Absolut lesenswert!
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