"Shrapnel" (Ausschnitt) von Veer Munshi |
Die Galerie LATITUDE 28 am Lado Sarai Platz in Delhi ist eine von mehr als 20 Galerien, die sich hier rechts und links der Straße befinden. Wenn man sie betritt, vergisst man fast augenblicklich das indische Ambiente draußen und fühlt sich wie zu Hause - ganz wie in den White Cubes von Köln oder Düsseldorf. Aber viele dieser Galerien bieten eine recht krude Mischung aus gefälliger Kunst, die sich oft genug anheischig macht, die überbordende hinduistische Bildkultur noch einmal in verschiedenen Stilen aufzukochen – gespickt mit weit weniger gefälligen Werken, die im Kanon zeitgenössischer Kunst ihren Platz finden dürften.
An diesem business-trächtigen Ort, wo es nach Geld und Erfolgsdruck riecht, war LATITUDE 28 zum Zeitpunkt meines Besuchs die einzige Galerie, die eine Einzelschau zeigte. Es sind die Arbeiten des Künstlers Veer Munshi. Die Ausstellung zeigt schwerpunktmäßig Fotoarbeiten, daneben ein Video und Malerei des Künstlers.
Die Fotoserie “Pandit Houses“ lichtet in mittleren bis großen Formaten die verlassenen, ehemaligen Residenzen der Pandits in Kaschmir ab, einer Region, die durch Terror, Intoleranz und Vertreibung gekennzeichnet ist und seit 30 Jahren an einem schwelenden Krieg niedriger Intensität leidet. Der Künstler selbst stammt aus Sri Nagar, der Hauptstadt Kaschmirs, wo auch die meisten Fotos entstanden sein dürften.
Der erste Präsident Indiens Jawaharlal Nehru - ebenfalls kaschmirischer Pandit - prägte die Parole von Indiens Einheit in der Vielfalt, um der multiethnischen und multikuturellen Bevölkerung Indiens eine gemeinsame nationale Identität zu geben. Die verlassenen und zerstörten Häuser, die Veer Munshi in seiner Serie "Pandit Houses" zeigt, zeugen von der Abkehr dieser Vision und dem vielfachen Scheitern dieser angemahnten und für Indien so dringend notwendigen Toleranz.
Der erste Präsident Indiens Jawaharlal Nehru - ebenfalls kaschmirischer Pandit - prägte die Parole von Indiens Einheit in der Vielfalt, um der multiethnischen und multikuturellen Bevölkerung Indiens eine gemeinsame nationale Identität zu geben. Die verlassenen und zerstörten Häuser, die Veer Munshi in seiner Serie "Pandit Houses" zeigt, zeugen von der Abkehr dieser Vision und dem vielfachen Scheitern dieser angemahnten und für Indien so dringend notwendigen Toleranz.
aus der Serie “Pandit Houses“ von Veer Munshi (Ausschnitt) |
Ohne diesen Kontext zunächst zu kennen, ziehen einen die düsteren, dokumentarisch nüchternen Motive in Bann. Monolithischen Blöcken gleich wirken diese Häuser abweisend und faszinieren durch ihre Genauigkeit, die jedes Detail erkennen lässt. Vorhänge, die die Fenster verhüllen, einzelne Balkongiebel, die halb herabhängen und das reiche Dekor der zumeist herrschaftlichen Häuser setzen die Fantasie in Gang. Wer hat darin gewohnt, was hat die Bewohner vertrieben, wie lange sind sie schon fort und welches Leben haben sie darin gelebt? Und wo sind sie jetzt?
aus der Serie “Pandit Houses“ von Veer Munshi (Ausschnitt) |
Die teils durch Brand zerstörten Häuser weisen auf gewaltsame Vertreibung hin, deren verkohlte Gerippe von Munshi als bizarre Formen eingefangen werden. Diese Bilder bergen ein bedrückendes Schweigen, das sich wie ein bleierner Schleier auf die Gegenwart legt. Besonders deutlich wird das dort, wo noch Menschen in schneenassen Straßen zu sehen sind, die mitten unter diesen Ruinen leben. Hier ist etwas unwiderruflich zu Ende gegangen, eine durch Generationen ausgearbeitete Kultur, die in dramatischer Stille vor den Augen der Dagebliebenen zerfällt.
Und wie Ranjit Hoskote, Kurator der Ausstellung und selbst Schriftsteller, in dem hervorragenden Katalog schreibt:
“… Munshi knows how completely Kashmir has changed around these houses that are slowly falling into dispair, ruin or partial reuse. A generation of Kashmir has grown up without ever knowing what a Pandit looks like, or what it means to live in a multi-religious society.”
“… Munshi knows how completely Kashmir has changed around these houses that are slowly falling into dispair, ruin or partial reuse. A generation of Kashmir has grown up without ever knowing what a Pandit looks like, or what it means to live in a multi-religious society.”
“Leaves like Hands of Flames“ - Video von Veer Munshi |
Das Video “Leaves like Hands of Flames“ steigert diese Melancholie noch. Sie zeigt den Künstler, der durch braune Blätter und tiefen Schnee watet und dieser Szene in einer zweiten Leinwand das langsame Abbrennen eines Hauses gegenüberstellt.
Völlig überraschend ist die dritte Arbeit im oberen Stockwerk der Galerie mit dem Titel “The Chamber“, in der alle vier Wände des Raumes mit Malereien des Künstlers ausgekleidet sind, so dass man beim Eintreten mitten im Bild steht. Hier ist keine Stille, keine eingefrorene Gewalt mehr in Form von steinernen Monumenten ehemaligen Reichtums, die langsam zu Ruinen verfallen. Hier explodiert alles in Bewegung. Fast möchte man sie in ihrer Gegensätzlichkeit zu den Fotos und dem Video einem anderen Künstler zuschreiben. Die Art der Bilder in “The Chamber“ erinnert an die urbane Kunst von Graffiti-Künstlern, die in ihren Motiven und Kompositionen AgitProp-Elemente aufnehmen, in denen plakative Bildaussagen mit schrillen Perspektiven kombiniert werden. Auch diese Arbeit Munshi’s beeindruckt, vor allem auch durch ihre Dreidimensionalität und ihre reduzierte Farbigkeit sowie die dynamische Komposition. Aber es sind vor allem die Fotos und das Video, die weit mehr unter die Haut gehen, gerade weil sie es nicht darauf anlegen.
“The Chamber“, Malerei von Veer Munshi (Ausschnitt) |
Der Künstler Veer Munshi wurde 1955 in Sri Nagar geboren und studierte Kunst an den Universitäten in Sri Nagar und Baroda. Er hat sich in vielen Einzelausstellungen von Galerien in Mumbai, Bhopal, Baroda, Delhi und Genf einen Namen gemacht und war unter anderem an Gruppenausstellungen in Bangladesch, Pakistan, Korea und Dubai beteiligt.
Der Kurator und Schriftsteller Ranjit Hoskote war u.a. als Mitkurator der Gwangju Biennale in Korea 2008 beteiligt und verantwortlich für die erstmalige Beteiligung Indiens an der 54. Biennale von Venedig 2011. Er kuratierte die Schau mit vier indischen Künstlern unter dem Titel: “Everyone Agrees: It‘s About to Explode“.
Die Ausstellung “SHRAPNEL“ in der Galerie LATITUDE 28 fand vom 3. bis zum 23. März 2012 statt. Sie entstand in Kooperation mit Millenium India Education Foundation (MIEF) und der Foundation B+G. MIEF engagiert sich für die Wiederbelebung der kulturellen Traditionen Kaschmirs und wird dabei vom Ministery of Culture Government of India unterstützt. Die Stiftung B+G ist eine Initiative des 90-jahre alten Printhauses Popular Prakashan, das auch den lohnenswerten Katalog gedruckt hat. Sie fördert Projekte zeitgenössischer Kunst sowie die Kooperation zwischen Künstlern, Kuratoren und Kunstrezipienten. Sie hat außerdem eine erweiterte Kunstpädagogik an Schulen zum besseren Verständnis von zeitgenössischer Kunst zum Ziel.
Die Galerie LATITUDE 28 wird von Bhavna Kakar geleitet, eine Spezialistin in vormoderner Kunstgeschichte und Kuratorin vieler internationaler Ausstellungen. Bhavna Kakar ist außerdem die Gründerin und Herausgeberin des vierteljährlichen Kunstmagazins TAKE on Art. Im Katalog zum Konzept der Galerie heißt es „LATITUDE 28 represents contemporary Indian Art not only through eclectic exhibitions in the white cube of its distinctive gallery space but also by supporting residencies and the organization of outreach programs, seminars and talks.“ Ihre Ausstellungen werden jeweils als Projekte von verschiedenen Kuratoren konzipiert. Sie zeigte u.a. die Ausstellungen “Love is a 4 Letter Word“, “Map is not the Territory“ oder “Size Matters or Does it?“. Daneben nimmt LATTITUDE 28 auch an internationalen Kunstmessen teil.
Alle Ausstellungsfotos von Ina Zeuch
Alle Ausstellungsfotos von Ina Zeuch
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