Freitag, 25. Mai 2018

Geschichten aus der Sklaverei: Expedition nach Surinam (Teil 2)

In einer mehrteiligen Serie zum Sklavenhandel und ihren unterschiedlichen Folgen möchte ich einige dieser Zeugnisse vorstellen. In ihnen wird dieses belastende Thema weg von der bloßen Aufzählung geschichtlicher Fakten hin zu anschaulichen Geschichten von Einzelschicksalen verlagert, die trotz ihrer Einzigartigkeit und ihrer unterschiedlichen Perspektiven erhebliche Teile des blutigen Geschäfts beleuchten.  Mit die "Prinzen von Calabar" gab es mit den Briefen von zwei nigerianischen Sklavenhändlern, die irrtümlich als Sklaven gefangen wurden, den ersten Beitrag zu diesem Thema.

Fußfessel für Sklaven, Musée de la civilisation.celtique / Bibracte, Frankreich.Foto: wikimedia, Quelle Urban
 
Der erste Teil von "Expedition nach Surinam" erschien am 28.April auf diesem Blog.


 Die Sklavin Joanna  

 

Da Stedmans Truppe wegen der Eitelkeit des Gouverneurs zunächst nicht gegen die Rebellen eingesetzt wird, vergnügen sich die oberen Ränge der Leutnants und Offiziere und besuchen "zu eitler Zerstreuung" das Nachbarland Guyana, wo er am Gerichtshof der Polizei die 15-jährige Joanna kennenlernt, die dort in Diensten steht. Stedman verliebt sich augenblicklich in sie, selbstverständlich ist sie Mulattin und wird als wunderschön und edel beschrieben, außerdem gebildet und ganz offensichtlich auch überdurchschnittlich intelligent.

Joanna, Zeichnung von Jan Stedman

Sie ist die Tochter eines Weißen namens Mr. Kruythoff, der mit einer Sklavin vier Kinder zeugte, wovon Joanna das älteste ist. Joannas Mutter ist im Besitz eines Mr. D.B., der sich auch nicht durch das Angebot von 1000 Pfund Sterling darauf einlässt, diese an Kruythoff frei zu geben, mit der er immerhin vier Kinder gezeugt hat und der er sein ganzes Leben treu bleiben wird. Kruythoff stirbt laut Stedman kurz nach diesem gescheiterten Versuch darauf vor Gram, während Mr. D.B. aufgrund der bestialischen Behandlung gegenüber seinen Sklaven einen guten Teil von ihnen an die Rebellen in den Wäldern verliert.
Hoch verschuldet muss Mr. D.B. aus der Kolonie fliehen -  seine Frau, die er zurücklässt, kommt dabei für seine hinterlassenen Schulden ins Gefängnis. Auch sie kann schließlich mithilfe eines holländischen Kapitäns der Kolonie Richtung Holland entfliehen, und Joanna gelangt nun in die Obhut ihrer schwarzen Tante, die eine Freie ist. Diese Situation ist prekär, da Joanna damit weiterhin jederzeit in den Besitz anderer Käufer gelangen kann. Stedman bittet in dieser Angelegenheit einen Freund aus Surinam, den er in der kurzen Zeit seines Müßiggangs gewonnen hat, Joanna die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen - in der Hoffnung, er werde sie ihr übergeben. Dieser heimliche Plan scheitert an Joanna selbst, die ihre Lage völlig unromantisch einzuschätzen versteht:
...she rejected every proposal of becoming mine upon any terms. She was conscious, she said, 'that in such a state, should I soon return to Europe, she must either be parted from me for ever, or accompany me to a part of the world " where the inferiority of her condition must prove gracely to the disadvantage of both herself and her benefactor, and thus in either case be miserable.' In which sentiments Joanna firmly persisting, she was immediately permitted to withdraw, and return to the house of her aunt.
Wie schon Kruythoff bei Joannas Mutter gelingt es auch Stedman während seines gesamten Aufenthalts in Surinam nicht, Joanna freizukaufen. Denn für ihren Freikauf ist die Summe für ihn einfach zu hoch, obwohl er am Ende in den Rang eines Offiziers aufsteigt.

Der Truppenalltag in der Kolonie  

 

Im Kampf gegen die Rebellen muss Stedman mit seiner Truppe, die er größtenteils eigenständig befehligt, mehrere Monate lang an den Flussufern von Comewina und Cottica ausharren, um u.a. das nahe gelegene Fort Zelandia zu verteidigen. Um seine Lage zu verbessern, wird Stedman im Laufe seines Einsatzes gezwungen, seinen Lohn, der zudem nur unregelmäßig fließt, für Proviant auszugeben, den er oft mit seinen Untergebenen teilt. Die Proviantlieferungen sind ausgesprochen kärglich und fallen oft durch die Überfälle der Rebellen oder Überschwemmungen an den Flussläufen, die dafür überquert werden müssen, oft ganz aus. Die Kameradschaftlichkeit Stedmans trägt erheblich dazu bei, seine Untergebenen bei Laune zu halten und Meuterei zu vermeiden.

"Group of Negroes imported to be sold for Slaves", Zeichnung von Jan Stedman

After what has been related, the reader may form some judgment of my surprize and confusion, when I found among them my inestimable Joanna; the sugar-estate Fauconberg, with its whole stock, being this day sold by an execution, for the benefit of the creditors of its late possessor, Mr. D. B. who had fled. I now felt all the horrors of the damn'd. I bewailed again and again my unlucky fortune, that did not enable me to become her proprietor myself...

Die Barbarei der Siedler

 

Auch viele der eigenen Leute sterben, vorwiegend Seeleute und zwar durch die barbarische Behandlung der Siedler selbst. Die einfachen Matrosen der frisch angekommenen Kauffahrtsschiffe werden von den Sklavenhaltersiedlern nach Stedman schlechter behandelt als deren eigene Sklaven. Mit schwer beladenen Booten müssen sie bei größter Hitze die Flüsse hinauf und hinunter schippern, um die Kolonialwaren Kaffee und Zucker zu den Handelsschiffen zu transportieren. Dabei sterben täglich vier bis fünf von ihnen. Sie werden praktisch kaum verpflegt und arbeiten Tag und Nacht, wobei sie auch für viele Knechtsdienste im Haus herangezogen werden - um laut Stedman - die kostbaren Sklaven zu schonen.
...while by this usage thousands are swept to the grave...nor dare the West India Captains to refuse their men, without incurring the displeasure of the planters, and seeing their ships rot in the harbour without a loading; nay, I have heard a sailor fervently wish he had been born a negro, and beg to be employed amongst them in cultivating a coffee plantation.

Der Einsatz beginnt

 

Zum Zeitpunkt von Stedmans Einsatz nach der langen Wartezeit ist das Regiment, mit dem er angekommen ist,  von 530  auf 390 Mann geschrumpft "by death and sickness, the hospital being crowded by invalids of every kind". Immer wieder muss die Truppe auf Sklaven und Kollaborateure als Söldner zurückgreifen. So sind auch zwei ehemalige Rebellenführer im Regiment von Oberst Fourgeoud. Diese erlangten ihre Straffreiheit durch einen Verrat, durch den ihr Befehlshaber namens Atta dem Landeshauptmann in die Hände der Kolonie von Berbice fällt, einer niederländischen Besitzung in Guyana. Beide Kollaborateure sind nun als private Söldner im Regiment von Colonel Fourgeoud und werden zu seinen bevorzugten Kriegern.
"Spring of a Cotton Tree", Zeichnung von Jan Stedman

Den äußerst geschickten Spionen der Rebellen fallen immer wieder ganze Abteilungen der Kolonialtruppen zum Opfer. Sie überraschen die feindlichen Soldaten beim Bad, wenn sie ihre Waffen nicht parat haben oder locken sie durch deutliche Zeichen ihrer Anwesenheit in den Hinterhalt - meist in die Sümpfe, denen sie nicht entkommen können. Hinzu kommt das ungeschickte Verhalten des Gouverneurs, der misslungene Einsätze abstraft, indem er immer wieder droht, Oberst Fourgeoud abzusetzen. Diese Drohungen  verunsichern die ohnehin geschwächte Truppe zusätzlich. Auch gelingt es den Rebellen immer wieder, Gefangene zu machen. Die Vorstellung, dass diese Gefangenen den schwarzen Rebellen als Sklaven dienen müssen, ist dabei besonders unrühmlich. Stedman spart zudem nicht mit der Beschreibung der Unfähigkeiten seines eigenen Oberhaupts, des Oberst Fourgeoud:
Though unconquerably harsh and severe to his officers, he was however not wanting in affability to the private soldiers. He had read, but had no education to assist him in digesting what he read. In short, few men could talk better, but on most occasions, few could act worse.
Die durch den Zwist zwischen Fourgeoud und dem Gouverneur immer wieder erzwungenen Pausen lassen Stedman genügend Zeit, die Flora und Fauna zu studieren und zu zeichnen. Auch beschreibt er Kanus, Häuser, Alltagsgeräte der Kolonie. Dabei ist er an der freien schwarzen Bevölkerung ebenso interessiert wie an den schwarzen Söldnern, von denen er sich beraten lässt, wie man sich unter dem harten tropischen Klima am besten fit hält.
On the first of July were dispatched, for the river Comewina, one captain, two subalterns, one serjeant, two corporals, and eighteen men.
Er lässt auch nicht die konkrete Entlohnung seiner eigenen Leute aus, die beträchtlich zur schlechten Stimmung beiträgt.
Am 3. Juli 1773 geht es zur Festung von Amsterdam mit "four subalterns, two serjeants, three corporals, thirty-two privates, two pilots, twenty negroes, and my black boy Quaco".
Schwarzer Söldner, Zeichnung von Jan Stedman
Hier seine Beschreibung des Sklavengeschäfts, wie er sie von anderen in seinem unersättlichen Wissensdurst erfragt hat:
...that most numbers of the negroes offered for sale have been taken in battles, and made prisoners of war; while many others have been scandalously kidnapped, and some others transported for offences... These groups of people are marched from every inland part, to the factories erected by different nations upon the coast, where they are sold, or more properly speaking, bartered, like the other productions of their country, viz. gold, elephants teeth, &c. to the Europeans, for bars of iron, firearms, carpenters tools, chests, linens, hats, knives, glasses, tobacco, spirits, &c.
Die unaufhörliche Präsenz der Truppen der Society of Surinam, die mühsamen Siege, die dadurch erzielt werden, führen schließlich zum Erfolg. Bei Stedmans Rückkehr nach Holland sind fast alle Rebellenunterschlüpfe ausgehoben. Dabei haben ihnen nicht zuletzt die Sklaven selbst dabei geholfen, die durch die oft grausame Behandlung, die sie durch ihre Anführer erfahren haben, als nützliche Kollaborateure in die Arme der kolonialen Truppen getrieben haben.
Stedman verlässt die Kolonie Surinam ohne Joanna. Der gemeinsam gezeugte Sohn erlangt tatsächlich kurz vor seiner Abreise nach unsäglich mühseligen Verhandlungen und unter Einsatz aller Beziehungen, die Stedman aufbringen kann, die Freiheit. Bis zum Schluss aber verweigert Joanna, die mit Unterbrechungen mit Stedman zusammenlebt, mit ihm nach Europa zu gehen. Ihre Gründe bleiben dieselben wie zu Anfang. Sie sieht für sich keine Zukunft in einer Umgebung, die den Rassismus und den Kolonialismus hervorgebracht hat und vermutet, dass eine Verbindung  mit ihr seine weitere Karriere behindern könnte. Sie bleibt in Surinam zurück und stirbt am 5. November 1783, Gerüchte besagen, dass sie aus Neid auf ihren Wohlstand und ihrer besonderen Stellung wegen vergiftet worden sei. Der gemeinsame Sohn John wird  mit einer ‘Rechnung‘ von knapp 200 Pfund, die er für ihn noch zu bezahlen hat,  zu ihm nach England geschickt – als freier Mann. Er erhält eine Ausbildung in Devon und geht danach ebenfalls zur See geht. Mit unbekanntem Datum gilt er während einer Seereise nach Jamaica als verschollen.
Zeichnung von Jan Stedman  
 

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