Freitag, 13. Dezember 2019

Das Memorial Museum in Nanking - Erinnerungskultur in China

Heute vor 82 Jahren  - am 13. Dezember 1937 - wurden in Nanking schätzungsweise 300.000 Chinesen von japanischen Soldaten ermordet.

Eingang zum Memorial Museum in Nanking
An diesem Tag rückten die japanischen Truppen in Nanking ein. Seit 1932 hielt die Kaiserlich Japanische Armee Teile Chinas besetzt. Der anhaltende Widerstand der Chinesen weckte die  Rachegelüste der japanischen Besatzer. Mit dem Massaker an den Chinesen in Nanking wollten sie ein Exempel statuieren, zu dem sie sich in jeder Hinsicht als überlegene Herrenmenschen im Recht fühlten. 

Sieben Wochen dauerten die Hinrichtungen an den Soldaten und dem Massaker an der Zivilbevölkerung - alles vor den Augen ausländischer Journalisten und der in Nanking ansässigen internationalen Gemeinschaft. Japanische Offiziere gingen so weit, in heldenhafter Pose mit dem Schwert zu köpfen, wie es auf einem Foto in der Ausstellung zu sehen ist. Aber die Gräuel dieses gut dokumentierten Kriegsverbrechen sollen hier nicht weiter ausgeführt werden, da man an anderer Stelle ausführlich darüber nachlesen kann.

auf dem Weg zu den Ausstellungshallen
Vielmehr möchte ich hier die Erinnerungskultur an dieses schmerzliche und demütigende Ereignis beschreiben, wie ich es bei einem Besuch des Memorial Museums - offiziell das Memorial Hall of the Victims in Nanjing Massacre by Japanese Invaders genannt - an einem Sonntag im November erlebt habe. Denn schon die Architektur des Museums drückt die Wucht dieses Ereignisses aus: In einem zerklüfteten, spitzwinkligen Dreieck wird man an der Längsfront des Museums zum Eingang in die Ausstellungshallen geführt. Der Eintritt ist frei und die Besucherzahl einschließlich Jugendlicher und Familien mit ihren Kindern an diesem noch warmen sonnigen Tag hoch.
Bronzeskulpturen im Außenbereich des Museums
Foto des Massakers von 1937
Tatsächlich sind hier alle Formen modernen Gedenkens vereinigt: Symbolische, fast poetisch anmutende Installationen werden mit brutalem Naturalismus und nüchterner Dokumentation, aber auch mit propagandistischen Ansätzen vereinigt.

Hat man die Allee der  Bronzeskulpturen abgeschritten, die das Grauen in expressionistischem Naturalismus widerzugeben versuchen und sich an dem langen Gang entlang der Längsfront des Museums bis zum Eingang vorgearbeitet, herrscht in den großen Ausstellungshallen des Parterres eine geradezu sakrale Stimmung. Die Räume sind abgedunkelt - nur die Exponate sind beleuchtet.

Empfangen wird man von einer tief melancholischen Installation aus reinem Licht: Von oben über die meterhohe Wand flitzen einzelne blaue Lichtspuren wie Sternschnuppen nach unten, wo sie in eine Wasseroberfläche eintauchen, die von einem Videoscreen imaginiert wird. Bei jedem 'Verglühen' entstehen Wasserringe, die die Oberfläche kräuseln und langsam vergehen, bevor eine neue 'Sternschnuppe' abstürzt und eintaucht. Diese komplexe und raffinierte Videoarbeit führt in den  größten Ausstellungsaal, in dem Hunderte Porträtfotos der Ermordeten bis an die Decke angeordnet sind und die einen überwältigenden Eindruck von dem Massaker geben, obwohl zahlenmäßig nur ein Bruchteil von ihnen dargestellt werden.

Fotos von den Opfern des Massakers
Es folgt ein ausführlicher dokumentarischer Teil - sowohl Fotos als auch Briefe, Auszüge von Zeugenaussagen und entsetzten Journalisten, die nach Hause telegrafiert haben. Ein Teil wird ausdrücklich den Expats gewidmet, die damals in Nanking gelebt und die sich für die Chinesen eingesetzt haben, ihnen Unterschlupf gewährten, sie medizinisch versorgten - für diejenigen, die in panischer Flucht noch davon gekommen waren. 24 AusländerInnen werden mit Fotos und ihren Hilfsaktionen gewürdigt, unter ihnen John Rabe, der für Siemens in Nanking arbeitete und Hunderten von chinesischen Flüchtlingen das Fabrikstor öffnete und versuchte, für sie eine Schutzzone auf dem Fabrikgelände zu errichten.

Alle diese HelferInnen werden in dem Begleitfilm mit dem Titel  'Buddha-Nature' geehrt, ein wesentliches Detail in einem sozialistischen Land, das seit der Gründung der Volksrepublik atheistisch ausgerichtet ist.

die Porträts der damals in Nanking lebenden Ausländer
Schließlich geht es in den zweiten Stock, wo neben einem Dokumentarfilm vor allem noch Skelette gezeigt werden, die bei Ausgrabungen und der Planung von Neubauten in der 8-Millionen-Metropole gefunden wurden. Fast sakral in drei großen Kreisen angeordnet oder von oben zu besichtigen - so schaut man auf sie hinunter in Grabungsreste eines Massengrabes, über dem das Museum errichtet wurde. Das kontrastiert abrupt mit einer naturalistischen Szenerie, die  brutale japanische Soldaten nachstellt, die mit mordlüstern entstellten Gesichtern über fliehende Chinesen herfallen, begleitet von einem Soundtrack aus Explosionen, Fliegerattacken und Maschinengewehrsalven. Gerade dieser Teil der Ausstellung wird besonders häufig von den Besuchern mit ihren Handys abgelichtet. Sie ähnelt  vielen TV-Serien, die  man allabendlich im chinesischen Fernsehen sehen kann, in denen die Besatzung der Japaner thematisiert werden.
 
Skelette von Opfern, deren Überreste noch bis heute gefunden werden
 Fotos von einigen der Überlebenden
Neben den Bildunterschriften, die die japanischen Besatzer verständlicherweise fast immer mit "brutal barbarians" bezeichnen, überrascht der abschließende Ausblick des Museums auf das Thema Frieden und Versöhnung. Die Ausgangshalle, die dann nach draußen über einen Park zur letzten Inszenierung führt,  ist übersät mit Blumenkränzen, die offensichtlich von Besuchern abgelegt wurden. 

Ebenfalls dokumentiert wird, dass das Massaker erst 1951 erstmalig gewürdigt wurde - einzig mit einer schlichten Stele, von der ein Foto in der Ausstellung zu sehen ist und die lediglich von 45 Arbeitern berichtet, die ihren Posten in einem Kraftwerk nicht verließen und deshalb ermordet wurden. Diese Stele wird als Momument for the Martyrs workers  bezeichnet. Das eigentliche Gedenken beginnt erst Mitte der 1980er Jahre - also erst knapp 50 Jahre nach den Ereignissen. Dieses Schweigen mutet angesichts der hohen Opferzahlen seltsam an, selbst wenn diese noch nicht in vollem Umfang bekannt gewesen sein sollten.
der letzte Weg vor dem Verlassen des Museums
Die Forschung zum Nanking-Massaker geht bis heute weiter. Die Mauer mit den Namen der identifizierten Opfer am rückwärtigen Park des Museums wird für weitere Funde offengehalten. Schon einmal musste diese Mauer verlängert werden, weil die Ausgrabungen und die Geschichtsforscher immer weitere Opfer fanden.

Fotos von Uwe Kerkow, November 2019

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