Samstag, 8. Februar 2020

Kunstszene Shanghai (2): Lu Lei in der ShanghArt Gallery


Die Räume der ShanghArt Gallery erfüllen alle Kriterien des klassischen white cube: Groß, strahlend weiß und lichtdurchflutet, zudem mit einer eigenen Bibliothek ausgestattet, die über viele ihrer Ausstellungen Kataloge aufweist und dort auch einige Originale anbieten für diejenigen, die sich große Formate nicht leisten können. Sie ist eine der zahlreichen Galerien im Westbund Art Center - so nennt sich das ehemalige Industriegelände ganz im Südwesten Shanghais - das mit spektakulären, noch im Bau befindlichen Architekturen rasant weiter umstrukturiert wird.

Lu Lei, ein Künstler, der raumgreifende Installationen und Objekte erschafft, stellt hier noch  bis 16. Februar 2020 sein Projekt "Wander Giant" aus, an dem er vier Jahre gearbeitet hat. Das glaubt man sofort, denn schon der erste Raum der Galerie ist besetzt von Bruchstücken eines zertrümmerten Universums.

Lu Lei: "Wander Giant"
Das aber kommt erstaunlich aseptisch daher - Fabriken stehen noch unzerstört da, die Planeten sind als pittoreske Kugeln im Raum verstreut - alles ist eben doch einfach nur Kunst und keine echte Annäherung an ein solches Ereignis von immenser physikalischer Schlagkraft. Aber es macht Spaß, durch diese Trümmerlandschaft auf den Spuren des wandernden Riesen zu wandeln, der unser Sonnensystem aus den Angeln gehoben hat.
Vielleicht ist Lu Leis  "Wander Giant" deshalb mehr wie ein Märchen aufzufassen, irgendwie kindlicher Fantasie entsprungen und spielerisch, wenn auch sehr aufwändig umgesetzt. Folgerichtig heißt der erste Raum auch "Game of the Giants" - spielende Riesen - als erstes Kapitel seiner Installation, die die Planeten wie Bälle umhergeworfen haben.

Der zweite Raum in der Galerie ist mit "Reveries of the Giant" als Chapter 2 überschrieben. Dort stehen rätselhafte Riesenobjekte, ebenso schön anzuschauen. Es fällt auf, dass mal im Plural, mal im Singular vom Riesen, bzw. den Riesen die Rede ist.

Lu Lei :" W and H were hit by lightning Giant" 
Lu Lei: "Reveries of the Giant"
Das dritte Kapitel ist bei ihm mit "The Giant Walking" überschrieben, der Riese hier wieder als singuläres Wesen. Von ausgesprochenem Erfinderreichtum zeigen die Installationen und Objekte eine Perpektive jenseits der menschlichen Sphäre.

Lu Lei: "The Parentheses Corridor and Hand Wash Bassins" 
Eine weitere raumfüllende Installation heißt "The Parentheses Corridor and Hand Wash Bassins". Ein Korridor, der zwischen anderen Räumen(?)/Korridoren(?) liegt und Handwaschbecken für den/die(?) Riesen bereit hält? Oder zumindest ein Ort, den der Riese sich erträumt, heißt doch das Kapitel "Reveries of the Giant". Man muss nicht akribisch die Logik des Werkes hinterfragen, die Bedeutung ergründen oder gar verstehen wollen, was das alles  mit uns, mit unserer Zeit zu tun hat. Vielleicht ist es einfach nur eine Atempause im Bedeutungszirkus zeitgenössischer Kunst, dem Raunen über digitale Welten, künstliche Intelligenz, Robotnik und dem Kontrollverlust über die reale Welt.
Aber vielleicht ist es auch kalkuliert groß angelegt, gut konsumierbar für die vielen Kunstmessen und Biennalen dieser Welt. Und was gibt es Größeres als Riesen, die durch unser Universum schreiten, merkwürdige Gegenstände hinterlassen und sinnfrei unsere Existenz auslöschen?

Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch, im November 2019, Shanghai

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