Sonntag, 14. August 2022

Das Fremde so nah - ein Ausflug in die Hochzeitsmeile von Marxloh in Duisburg

Gestern war Lockdown, heute schon Krieg. Aber der Lockdown hat während seiner Dauer unter anderem auch unsere Art des Reisens verändert. Nahziele und Wohnwagenkultur waren einige der Antworten auf die Einschränkungen durch das Coronavirus. So fuhr auch ich ins nahegelegene Duisburg, um endlich die so viel beschriebene Hochzeitsmeile im Stadtteil Marxloh kennenzulernen. 

Schaufenster eines Hochzeitsgeschäfts in Marxloh
In der Tat weht hier kaum hundert Kilometer weiter schon ein ganz anderer Wind, wenn man aus dem wohlsituierten Bonn kommt und das noch bevor man in das Migrationsviertel von Marxloh eintaucht. Schon am Duisburger Bahnhof gibt es viele junge Menschen, die gar nicht erst betteln, aber offensichtlich obdachlos sind. In den Arkaden am Bahnhof stehen breite Sessel, die ein Philantrop - oder die Stadtverwaltung? - dort hingestellt hat, wo Menschen mit den Resten ihrer Habe in Plastiktüten und Einkaufswägen sitzen und aus Coffee- to- go Pappbechern  nippen. 

12,3 Prozent Arbeitslosigkeit weist die Stadt Duisburg auf, einer der höchsten in Deutschlands Städten neben Gelsenkirchen mit 14,8 und Bremerhaven mit 13,1 Prozent. Und das ist auch sichtbar: Während   Bonns City in penetranter Zahl Schuhläden, Friseure und schicke Straßencafés aufweist, rangieren in Duisburgs Innenstadt die Billighsops, Würstchenbuden und Schnellrestaurants.  Menschen schon mittags mit Bierflaschen in der Hand oder Frauen in ärmlicher Kleidung und Plastiktüten auf Schnäpphenjagd prägen einen Großteil des Straßenbildes. 

 auf dem Weg nach Marxloh mit der Straßenbahn 901

 auf dem Weg nach Marxloh mit der Straßenbahn 901

Marxloh, einem Stadtteil von Duisburg Hamborn mit 60 Prozent Ausländeranteil und - nach dem Zusammenbruch der Stahlinsudtrie mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit - hängt der Ruf nach, sich zur No-Go-Area entwickelt zu haben. Dabei ist Marxloh vor allem auch berühmt für seine 'Hochzeitsmeile', Geschäfte mit Brautmoden und Zubehör, die zwei Straßenzüge säumen und bei dem sich viele türkische Familien für diesen Tag oft verschulden. Hinzu kommt der Ehrgeiz,  zu zeigen, was man sich alles leisten kann oder wieviel Schulden einem dieses Prestige wert ist.


Schaufensterauslagen in Marxloh

Ursprünlich bestimmten die türkischen Migrant:innen das Stadtild von Marxloh. Inzwischen sind viele Osteurpäer:innen, Gefüchtete aus Ex-Jugoslawien und Russ:innen hinzugekommen. Beherrschend aber bleibt der türkische Einfluss, was sich auch in den zahlreichen Restaurants und Cafés niederschlägt.  Sie heißen Café Femm, Sabah börekcisi oder Saraykapi Restaurant und ihre Speisen sind excellent und preiswert. Dort ist Multikulti angesagt: Deutsche sitzen neben Bosnier:innen oder türkischen Familien. Vor allem am muslimischen Freitag und auch schon am Donnerstag herrscht dort reges Treiben. Die arabisch beeinflusste Kultur des Verweilens bei gutem Essen mit dem obligatorischen Tee und die verlockenden Konditoreien täuschen über die Konflikte zwischen den verschiedenen Migrantengruppen hinweg und lassen alles mehr wie eine große Multitkulti-Gemeinschaft aussehen.

 

Aber die teilweisen Leerstände und Verwahrlosung zeigen ein anderes Bild. Zwischen den Restaurants und Cafés sind die typischen Ramschläden für Klamotten, Lebensmitteldiscounter und Kioske eingestreut. Ganze Familien als Leergutammler:innen werden niemals in diesen Restaurants speisen, die sich vor ihrer Nase aufreihen. Der Frust von Jugendlichen ohne Einkommen und Ausbildungschancen lässt sich in den Gesichtern Einzelner  auf der Straße oder in der Tram nur erahnen.  In einem der reichsten Länder der Welt bleibt offensichtlich nur noch der Ausweg, im Laden der Eltern oder Verwandten hinter der Kasse oder beim Ausladen der Transporter zu arbeiten. 


Alle, die nach den 1970iger Jahren eingewandert sind, haben diese wenn auch wenig attraktive Möglichkeit der ethnischen Ökonomie nicht, mit der viele türkische Gastarbeiter:innen zu bescheidenem Wohlstand gekommen sind. Sie stiegen  in den Import-Export-Handel und wurden zu Geschäfs- und Restaurantinhabern. Viele  Osteuropäer:innen verdingen sich dagegen  in den Billiglohnjobs, die Männer oft  als Tagelöhner auf dem Arbeiterstrich. 
 

Das schafft Konflikte zwischen den einzelnen Gruppen, die wie immer nicht ethnischer oder religiöser,  sondern rein ökonomischer Natur sind. Die Ausssichtslosen schieben Hass auf die, die zuerst da waren und ein erträgliches Auskommen erreicht haben - mit harter Schichtarbeit bei Thyssen und klandestinen Strukturen von Familienclans.

Man sagt, dass selbst von Istanbul Familien nach Marxloh kommen, um ihre Hochzeits- und Festtagskleider zu kaufen - angeblich, weil es hier preiswerter ist, wobei ein Supersonderangebot eines Hochzeitskleids schon 1000 € kostet.



Wer also als 'Biodeutscher' die Wohlfühlzone Deutschland einmal verlassen will und interessiert genug ist, mitten im eigenen Land eine fremde Kultur, ihre Widersprüche und die damit verbundenen sozialen Härten kennen zu lernen, dem empfehle ich eine Reise nach Marxloh und kann dabei noch die größte Moschee in Deutschland sehen.
 

Alle Fotos von Ina Zeuch

 


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