Goddy Leye: "We are the World" - eine amoralische Anklage
Inmitten eines Stilllebens aus Früchten liegt der Künstler Goddy Leye auf einer Decke mit kindlichen Motiven von Sonne, Mond und Sternen. Dilettantisch und sichtlich nicht darum bemüht, das Lied korrekt wieder zu geben, singt er den berühmten Song "We are the World", der es damals auf Platz 1 der Charts schaffte und den Grammy von 1985 gewann. Die in diesem Jahr von Harry Bellafonte ins Leben gerufene Aktion "USA for Africa" - (USA steht hier für United Support of Artists) - versammelte amerikanische Popgrößen vor's Mikro, von denen jeder eine Zeile des schlichten Schlagers sang, um Geld für die Hungeropfer in Äthiopien zu sammeln. Schlicht ist das Lied vor allem in seiner eindeutig christlichen Ausrichtung und rückt durch den Refrain "We are the World" das neokoloniale Weltbild ganz unmerklich ins Zentrum.
Eine größere Diskrepanz zwischen dem Vortrag der sichtlich bewegten und von ihrer Mission erfüllten KünstlerInnen und dem Goddy Leyes ist kaum denkbar. Während des Singens verspeist er nach und nach die Früchte des drapierten Stillebens und lässt es sich ungerührt gutgehen. Liegend und mit nacktem Oberkörper vermittelt er eine private und behagliche Chill-Out Atmosphäre. Lapidare Gesten ergänzen sein Liedchengeträller, wenn er den Mund zu voll hat, um artikuliert zu singen. Wie in dem echten Video wird der Text eingeblendet, auch die "Hm Hm Hms", wenn er kaut. Das Komische schlägt ins Lakonisch-Bittere um - all den gestylten, betroffenen Popstars, die mal was richtig Gutes mit ihrem Verzicht auf Kohle machen wollten, zum Hohn.
Inzwischen wurde USA for Africa, die trotz des anfänglichen Erfolgs schnell an Interesse verlor, auch für Haiti und Japan reanimiert und wird weiterhin sicher noch kommenden Katastrophen dienen - ein immer wieder zu belebendes Ritual, apolitisch und höchst moralisch - als dankbarer Abladeplatz für schlechtes Gewissen. Afrika scheint uns ein Synonym für menchliches Leiden und ein homogener Ort der Hölle zu sein. Goddy Leye führt uns vor, wie man sich beim Elend von 'Afrika' so richtig gut fühlen kann. Dabei dürfte er sich wahrscheinlich ebensowenig als Afrikaner fühlen wie wir uns als Euopäer, die wir uns durch die europäischen Gräueltaten eines Musolini, Stalin oder Hitler - um nur einige Verbrecher zu nennen, die es mit Mobutu, Ayadema oder Habré dreimal aufnehmen können - nicht unsere Identität bestimmen lassen wollen. Auch die jüngsten Konflikte unseres Kontinents - zum Beispiel dem Jugoslawienkrieg oder dem in Tschetschenien - würden wir kaum als typsich europäisch bezeichnet wissen wollen. Selbst mit den wenigen Flüchtlingen, die immer wieder xenophobe Phantasien von den Fluten hervorrufen, die die Festung Europa überschwemmen, haben wir doch eigentlich nichts zu tun. Dann doch eher mit Flutkatastropen in fernen Ländern oder Hungeropfern im Sahel.
Jedenfalls ist dem Künstler der Betroffenheitskult des Westens nicht nur schnurzgal, sie scheint ihm gründlich zu wider zu sein. Das Video ist subversiv böse und auf seine amoralische, locker dahin improvisierte Art irgendwie unerbittlich. Denn nebenbei, abseits des Themas von USA for Africa, setzt das Video auch noch unliebsame, weil mit Vorurteilen beladenene Bilder frei, die wie Viren in uns schlummern: Bilder vom primitiven Afrikaner, halbnackt, irgendwie animalisch, der mitleidlos vor sich hinschmatzt und dabei auf einer naiven Kinderdecke liegt, die ein kindliches Weltbild zeigt. Das tut weh!
Darf man also jetzt gar nichts mehr tun? Nicht mehr so viel schönes Geld spenden, um den Hungernden und anderen Opfern zu helfen? Kann man schon, aber es ändert nichts an den Verhältnissen. Solche Aktionen tröpfeln nur ein wenig Profitverzicht von Privilegierten in das System der Ungleichheit. Man könnte auch einem Sterbenden eine Packung Tempos reichen, aber in diesem Falle würde man sich nicht unbedingt so heroisch vorkommen wie es die Harry Belafonte-Truppe derart ungebrochen tut, so inbrünstig wie vielleicht nur Amerikaner das können. Die Handelspolitik ändert sich dadurch nicht und auch nicht die Migrationspolitik in unseren Ländern. Aber wir fühlen uns ein bisschen besser. Und das ist uns schon ein paar Dollars wert. Die Sensibilisierung unseres Bewusstseins, dass wir es hauptsächlich für uns tun, wenn wir uns von solchen Kulten einfangen lassen - das wäre schon ein Anfang vom Ende der Bigotterie, die den Künstler zu Recht so abstößt.
Viel zu früh verstarb Goddy Leye am 19. Februar 2011.
Viel zu früh verstarb Goddy Leye am 19. Februar 2011.
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