Memento Mori an einem Rosenkranz aus dem frühen 16. Jahrhundert, Metropolitan Museum of Art, NYC |
Neulich war Weltuntergang und - holla - die Welt ist noch da und wir mit ihr. Aber das Thema von Ende und Tod hat zur Zeit Konjunktur. Mein Beitrag hierzu erinnert an eine vor über 100 Jahren geschriebene, kleine Novelle Tolstois. In dieser beschreibt er den frühen Tod des Iwan Iljitsch als beißende Gesellschaftstudie.Die Unausweichlichkeit des Todes erkennen zu müssen und gleichzeitig festzustellen, dass man das falsche Leben gelebt hat ohne die geringste Chance, das noch zu ändern: Das ist die Hölle und zwar eine allein durch den Menschen verursachte Hölle - ganz ohne strafendes Jüngstes Gericht.
Leo N.Tolstoi (1828-1910) |
Gleich zu Anfang, der mit seiner Todesanzeige beginnt, wird das Tal der niederen Gefühle umrissen: zu allererst die Gier, wattig ummäntelt von der Heuchelei, aus der Mitleidlosigkeit und Mangel an sozialer Fantasie resultiert. Das ist in groben Zügen das Milieu, dem sich Iwan Iljitsch sein Leben lang angedient hat und das ihn im Laufe seines Siechtums absondert wie eine Peinlichkeit. In diesem Milieu - so scheint es - gewinnt man keine Freunde, nur Weggefährten, die sich vorübergehend wie Freunde anfühlen und bei der Nachricht von seinem Tod nur über den freigewordenen Posten sinnieren - jeder mit seinen eigenen Gedanken und Interessen, aber alle zusammen mit "... einer gewissen Freude darüber ... dass man nicht selbst gestorben war, sondern jener."
Im Laufe der Geschichte verengt sich die Perspektive immer mehr auf die Innensicht des Sterbenden, die schließlich zur drängenden Frage führt, ab wann dieses Leben unumkehrbar wurde: war es der Beginn seiner Ehe oder der Beginn ihrer Zerrüttung, die Geburt der Kinder oder der Beginn seiner Karriere in Petersburg, die ihn dazu drängt, sein Leben mit materiellen Gütern auszustaffieren, was ihn nicht nur finanziell überfordert?
Im Umzug von der Provinz nach Sankt Petersburg jedenfalls liegt der Auslöser für den Anfang seines körperlichen Leidens, eigentlich nur eine Lappalie, die lange unbeachtet bleibt - lächerlicherweise führt sie zum Tod.
Sein sukzessiver Fall in die Konvention wird von Iwan Iljitsch in seinem Siechtum noch einmal durchlitten. Er spürt - verdammt zum unerbittlichen Grübeln - den haarfeinen Rissen in seinem Leben nach: Wo hat er sich verloren? In der Flucht vor dem häuslichen Gezänk in die Arbeit, bei den hohen Kosten eines dem eigenen Stand geschuldeten Lebens...? Und wo gab es ihn noch als lebendigen, als echten Menschen? In C.G. Jung's Aufsatz "Vom Werden der Persönlichkeit" fällt die Anpassung an die Konvention zusammen mit dem Absterben der inneren Stimme. Tolstoi beschreibt genau diesen Prozess des Einkerkerns der Persönlichkeit als Porträt einer Gesellschaftsschicht, die genau das von ihren Mitgliedern verlangt, um voran zu kommen:
Gier (Schwein), Aggression (Schlange) und Ignoranz (Huhn) in der Mitte des Rades sind die 3 Triebfedern, die das karmische Rad des Lebens in Gang halten "Rad des Lebens"(Foto: Stephen Shephard) |
"In der Rechtsschule hatte er sich manche Handlungen zuschulden kommen lassen, die ihm vormals ganz abscheulich erschienen waren und ihm auch, während er sie verübte, einen Ekel vor sich selber einflößten; als er jedoch späterhin die Erfahrung machen mußte, daß auch hochstehende Personen sich gleiche Handlungen zuschulden kommen ließen, die von ihnen nicht für schlimm gehalten wurden, hielt er sie deswegen nicht für gut, aber vergaß sie ganz einfach und grämte sich nicht mehr darüber..."
Iwan Iljitsch, Staatsanwalt im Justimimnisterium, verschwendet Ausbildung und Intelligenz, um sich im gehobenen Mittelmaß virtuos zu bewegen - im Dienst am Gericht "...lag sein eingefahrenes Geschirr schon bereit, in dem er täglich seine Arbeit verrichten mußte... Bei all dem kam es darauf an, allem Unfertigen und Alltäglichen den Zugang zu verwehren, da hierdurch immer die Regelmäßigkeit des Laufens der dienstlichen Angelegenheiten gestört wurde..."
Foto: Peter Braun, Würzburger Dom |
Diese schmarotzende, materialistische Haltung, die Iwan Iljitsch sein ganzes Leben immer gekonnter eingeübt hat, brennt sich nun - abgeschieden in seinem Zimmer, inmitten seiner Familie, die ihn nicht versteht und so tut, als sei alles bald wieder im Lot und nur deshalb in Unordnung geraten, weil er die Anordnungen der Ärzte nicht befolgt - als schmerzlich falsch ein und erkennt sie in seinen einsamen Monologen als die eigentliche Todsünde seines Lebens. Von den Ärzten fühlt er sich so behandelt wie er selbst als Anwalt seine Delinquenten immer behandelt hat: im Unklaren gelassen, aber mit der unausgesprochenen Botschaft, dass es schlecht steht und er fühlt sich von ihnen zu Unrecht zum Tod verurteilt, den er noch leugnet, aber schon ahnt.
Der unerschöpfliche Hass auf seine Frau und auf alle familären Ereignissen, auf
seine Kollegen, einfach auf alles, was einmal das Mobliar seines
konventionellen Lebens ausmachte und - ganz ohne ihn unbeirrbar weiter
in dumpfer Perpetuierung des Falschen fortbesteht, während er stirbt - macht es ihm unmöglich, noch
teilzunehmen oder Teilnahme zuzulassen. Die einzige positive Rolle fällt dem Bauern Gerassim zu, der es vom
Land in die Stadt und in die begehrte Stellung eines Bediensteten in
einer Familie von Stand geschafft hat. Ihm macht der Zustand des
Kranken nichts aus, für ihn ist er ein Mensch, dem man in seinen letzten
Stunden noch alle erdenkliche Erleichterungen verschaffen sollte, aus
der schlichten Haltung heraus, dass einem selbst vielleicht auch einmal geholfen
wird, wenn man so hilfsbedürftig werden sollte. Allein diese Vorstellung
unterscheidet ihn von der materialistischen Einstellung der meisten
Protagognisten der Geschichte, die sich ihrer eigenen Vergänglichkeit
nicht stellen.
"Garten der Lüste, Hölle", Hironymus Bosch |
Die Geschichte rast unaufhaltsam auf einen grauenvollen Tod zu. Aber dann, nachdem es endlich - wie erwartet - geschieht, beendet Tolstoi das Ganze mit einem großen Knall. Das zerquälte Bewusstsein des Sterbenden erfährt so etwas wie eine Erlösung. Der zermürbende Reigen von Furcht, Hoffen, Verbitterung und Hass endet, weil nun der Tod eintritt - das, wogegen er sich mit unerträglichem Entsetzen so lange mit äußerster Kraft gewehrt hat. Aber nun, da das Sterben sein logisches Ende im Tod findet, fällt die Furcht ab.
Fotos: Wikimedia
'Wie gut, und dabei wie einfach', dachte er. 'Und wo ist der Schmerz?', fragte er sich. 'Wo ist er hin? Sag mal, wo bist du hin, Schmerz? ...Und der Tod? Wo ist er?'
Fotos: Wikimedia
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