Freitag, 20. Februar 2015

Reflektionen über Zeit und Geschichte in der Lakeeren Galerie, Mumbai

Bleischwer kommt die Idee der Ausstellung “History is…“ in der Lakeeren Gallery in Mumbai daher, die noch bis zum 7. März läuft. Nichts weniger als das Phänomen der Zeit in der Geschichte und der subjektiv empfundenen Jetzt-Zeit soll darin verhandelt werden. Mit Verweisen auf Walter Benjamin (hier zitiert aufgrund seiner Idee der "nicht homogenen Jetzt-Zeit“ und der “messianischen Zeit“) und Karl Marx (mit Bezug auf seine Theorie von der “Dialektik der Geschichte“, die zur Revolution führt) am Eingang der Ausstellung wird man theoretisch eingestimmt und fühlt sich intellektuell bereits mächtig gefordert. Wie erst kann dieses schwergewichtige Konzept visuell bewältigt werden, wo zudem die Dimension der Zeit im Medium der bildenden Kunst ohnehin schwer darstellbar ist? Fünf KünstlerInnen wurden für diese Schau von Dr. Arshiya Lokhanwala kuratiert, die sich imstande sahen, diese dicken Bretter zu bohren. Sie tun dies auf sehr unterschiedliche Weise.
Anita Dube: ”Reflections on Love and War
Anita Dube wartet mit einer Holzkiste auf, in der mit schwarzem Samt umwickelte Steine liegen. Davon darf man sich einen aussuchen und für eine Woche mitnehmen. Im Deckel der Kiste liegen Formulare und Stift, die in acht Punkten genaue Anweisungen darüber geben, wie man damit verfahren soll. Man fühlt sich irgendwie gleich an die vielen Formulare erinnert, die alle auf Schritt und Tritt in Indien lesen und ausfüllen müssen. Wo, wann und von wem Steine geworfen wurden, soll man da reflektieren und allgemein seine Gedanken über Geschichte und Gewalt aufschreiben. Darüber hinaus soll man innig mit dem Stein zusammen leben – auch hier genaue Beschreibungen – seine Gefühle und Erfahrungen damit ebenfalls notieren und ihn dann zurückbringen, so Dube‘s Konzept. Ja, Frau Lehrerin, möchte man genervt ausrufen! Nun werden Steine aber meistens vom ansonsten waffenlosen Volk geworfen und in aller Regel vom Militär blutig beantwortet.
Ni'lin, Palästina 2014, Screenshot CC-SA-4.0, יורם שורק
Wenn also Steine hier als allgemeines Symbol für Gewalt herhalten sollen, stellt sich die Künstlerin entweder auf die Seite der Herrschenden oder sie geht hier einfach nur sträflich unreflektiert vor.
Dubes zweite Arbeit ist pädagogisch weit weniger aufdringlich, aber ebenfalls mit viel Überbau versehen. Geistesgrößen wie Flaubert und Brecht werden zitiert. Doch sie nimmt in ihrer Arbeit Bezug auf die gewaltsame Zerstörung der Babri-Moschee am 6. Dezember 1992 in Ayodhya, bei der der alte Hass zwischen Hindus und Moslems sich erneut entlud. Zu Recht sieht die Künstlerin darin “the precise moment in which Indians democracy’s secular credentials were shaken“. Ihre mit schwarzem Draht bizarr verwickelte Wandarbeit bringt diesen gewaltsamen Moment der indischen Gegenwartsgeschichte symbolisch nachvollziehbar zum Ausdruck.
Anita Dube: “Document B“ (Ausschnitt)
Auch Waqas Khan aus Pakistan betreibt großen theoretischen Aufwand. Er unterteilt die Zeit in Phasen und zieht Emile Durkheim für seine Arbeit heran, der die gesellschaftliche Beziehung zwischen Individuum und Gruppen als von historischen Ideen angereichert betrachtet. Der sichtbare Ausdruck von Zeit zeigt sich – nach Ansicht des Künstlers in seinem Verständnis zu Durkheim - in Phasen, wo Religion und soziopolitische Ereignisse sich mit dem täglichen Leben der Menschen verbinden. Seine beiden seismographischen Zeichnungen, die er “Intervening Dialogues“ und „Woven Fragments“ nennt und die er mittels eines Radiologen hergestellt hat, müssen also auf diese Thesen hin interpretiert werden. Auf jeden Fall lassen sie zumindest das Phasenhafte deutlich werden. Sie sind zweifellos die minimalistischsten Werke in der Ausstellung.

Waqas Khan: “Intervening Dialogues
Shaurya Kumar geht in seinem Werk auf die Plünderung des Bagdader Museums von kulturell und archäologisch bedeutsamen Funden während des Irakkrieges von 2003 ein - “when the museum was strategically looted amidst the chaos oft he most infamous war in Iraq“, einem Krieg, bei dem er erstaunlicher Weise die amerikanischen und britischen Kriegstreiber und ihre militärischen Gewaltakte mit keinem Wort erwähnt.

Stattdessen zitiert er die Syrologin Eleanor Robson der Oxford-Universität aus Großbritannien: ”This is like the destroying of all the museums at the Washington Mall”. Im Kontext dieser brutalen Zerstörung steht sein nachahmendes Relief “Friese with Inlays, Showing Scenes of Diary Farming, Bagdad“.

Shauryar Kumar: “Friese with Inlays, Showing Scenes of Diary Farming, Bagdad
Seine zweite Arbeit zeigt die Replika einer umgestürzten Säule des Hampi-Tempels in Karnataka, die eine andere Zerstörung thematisiert: Diesmal die von fünf muslimischen Sultanaten im Kampf gegen das mächtige Hindu-Imperium Viyanagar mit dessen vernichtender Zerstörung um 1564. Kumar bringt damit in sehr anschaulicher Form vielfältige, oft religiös motivierte Gewalt zum Ausdruck, die sich in archäologischen Raubzügen, Profitgier und korrupten Behörden fortsetzt. In seinem Begleittext zeigt das Abbild dieser Säule im überwiegend zerstörten Innenhof des Tempels, wie nahe er seiner Vorlage gekommen ist. Geschichte ist für Kumar ganz offensichtlich ein beständiges Ausmerzen von Teilen der Geschichte durch die jeweiligen Sieger/Besatzer und die Versuche ihrer Rekonstruktion, die die großen Lücken des Unwiederbringlichen erst deutlich machen.

Shauryar Kumar: “Pillar at Hampi
Nandita Kumar konzentriert sich dagegen ganz auf Benjamin‘s Ausdruck von der messianischen Zeit, in der er – nach Deutung der Künstlerin - die Zeit als flüssig bezeichnet und als plötzlich sich ereignende Jetztzeit erfahren wird. Sie verwendet in ihrem Bildstreifen, der den Einfluss der Sonne auf die Erde als Beispiel nimmt, graphische Aufzeichnungen verschiedener Daten wie Wetterereignisse, Sonnenflecken, die biochemischen Formeln zu Chlorophyll etc. und bringt sie in einen linearen Ablauf. In ihrem Video fährt sie diesen Bildstreifen noch einmal ab und unterlegt ihn mit einem Soundtrack von Vogelgesang, berstendem Eis und ähnlichen Naturgeräuschen.

Nandita Kumar: “126.122 hz“
Sharmila Samant bezieht sich direkt auf die indische Kolonialgeschichte in ihren Anfängen mit der East India Company. Die ständigen Spannungen zwischen dieser Handelsgesellschaft - den Pionieren der Kolonialisierung Indiens - und der lokalen Bevölkerung endeten mit dem Sieg über den südindischen Herrscher Sultan Tipu - auch 'Tiger von Mysore' genannt. Große Teile seiner kostbarsten Besitztümer befinden sich heute im Museum of Wales und 2010 wurde die Künstlerin eingeladen, ein künstlerisches Pendant zu dieser Sammlung zu entwickeln. Vor allem die Textilien des prachtvollen Zeltes vom Sultan haben es ihr dabei angetan. Dazu entwickelte sie einen Wandbehang, der die ganze Stirnseite der Galerie sowie Teile der rechten und linken Seitenwand bedeckt und so wahrlich einen Eindruck von der Pracht des ehemaligen südindischen Herrschers darstellt.
Sharmila Samant: “Halcyon Days“ (Ausschnitt)
Erst beim Näherkommen sieht man, dass dieser Vorhang, der wie eine kostbare Paillettenarbeit aus 1001 Nacht wirkt, lediglich aus Kronenkorken einer Biermarke (Kingsfisher) hergestellt ist. Ihren Titel leitet sie von Halcyon, einem Vogel-Fabelwesen der griechischen Mythologie her, der zum Emblem der Biersorte wurde und von dem überliefert ist, dass er im Winter auf einem Nest in den Wellen brütete und diese wie auch die Winde beruhigen konnte. Die heutige Bedeutung von „Halcyon Days“ bezeichnet die scheinbar endlosen Tage der Jugend und glückliche Zeiten. Sultan Tipu mit seinen unermesslichen Reichtümern und sein prachtvoll ausgestattetes Königreich haben sicher an endlos glückliche Tage des Herrschens geglaubt - genauso wie das British Empire, das sich damit brüstete, ein Reich zu sein, in dem die Sonne niemals untergeht.

Sharmila Samant: “Halcyon Days“ (Detail)
Alle Ausstellungsfotos Ina Zeuch.

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