Mittwoch, 22. Juli 2015

Einfach Kunst: "British Art" in der Stiftung Biedermann

"British Art" zeigt die Stiftung Biedermann in Donaueschingen noch bis zum 20. September in den sehr schönen, umgebauten Räumen eines klassizistischen Gebäudes. Eine ganze Künstlergeneration der 1990er kam unter dem Label Young Britsh Artists (YBA) zu Ruhm, die das Bild zu zeitgenössischer britischer Kunst besetzt: Tracy Emin's ungemachtes Bett, benutzte Kondome und blutverschmierte Unterwäsche - abgefeiert als weibliche Identitässuche und prämiert mit dem renommierten Turner-Prize von 1999 - oder Damian Hirst's in Formaldehyd eingelegte Tierkadaver, um nur die krassesten Beispiele zu nennen. Und aktuell zeigt man im britischen Pavillon der Biennale von Venedig Sarah Lucas' platte Penisplastik in bonbongelb, ebenfalls eine Künstlerin der nicht mehr ganz so jungen YBA. 
Kenny Hunter: "Like Water in Water"
Betont rotzig, banal und spektakulär - diese eingefahrene Sicht auf die Kunst der Insel kann man hier korrigieren. Es entstehen eben deutlich andere Akzente, wenn ein Sammlerehepaar geduldig das Beständige jenseits der Profilierungszwänge des Kunstmarktbetriebs sucht. Einfach Kunst zeigt deshalb die gelungene Ausstellung unter dem Titel "British Art" in der Biedermann-Stiftung. Minimal Art, Konstruktivismus, Land Art und urbane Motive in bekannt neo-expressionistischer Malerei sind so gegenwärtig zeitgenössisch wie international, aber hier at it's best zu sehen - ohne den Fokus auf eine Spielart von Kunst zu verengen.

Ansicht von May Cornet's Installation: "From Now On"
Die Erfahrbarkeit von Natur ist der rote Faden, der sich durch die sehr unterschiedlichen Werke zieht und von ihnen bearbeitet und reflektiert wird. Dabei zeigt die Installation von May Cornet - passend zum kahlen Anbau mit seinen grauen Betonwänden - mehr die de-naturierte Spielart als Einsprengsel von Restnatur im Urbanen als blasse Grasbüschel auf großen Leinwänden und schwarzen Enten aus hochpoliertem Kunstharz, die an schwarzverklebte Tiere der Ölpestkatastrophen erinnern.

Wenig natürlich sind auch die Objekte von Kenny Hunter, dem Plastikreh in grüner Badewanne, in dem gleichzeitig  ein Autoreifen schwimmt - unfreiwillig absurde Stillleben, die man immer wieder in städtischen Räumen vorfindet.  
Kenny Hunter: "Fox"
Kenny Hunter: "The Wasteland"
Auf der anderen Seite dieser Naturauffassung als Entfremdung und durch Zivilisation Umgestaltetes stehen die Arbeiten von David Nash. Er lässt ein fels-ähnliches Holzstück, dessen Oberfläche durch natürliche Prozesse wie zerfurchter Stein aussieht, die Wellen eines Flusses heruntertanzen und filmt es dabei: eine schwimmende Felsattrappe, die durch diese Camouflage eine eigenartige Faszination ausstrahlt und durch die Unvorhersehbarkeit von Wellen, Strömung, Wetter - also Naturgegebenheiten - scheinbar absichtlos zu meditativen, fast romantischen Bildern führt.
David Nash: "Boulder" (Dokumentationsvideo)
Ebenso faszinierend sind seine großformatigen Zeichnungen und Objekte aus Holz, dem er sein Lebenswerk widmet. Die Zeichnungen transzendieren die Kraft, die er in diesem Werkstoff aufspürt. Die Geschlossenheit der sakralen Kuppelform und der nach oben rankenden Zweige von Bäumen wachsen beide in einen imaginären Himmel.

David Nash: "Dome and Sphere"
Nigel Hall's Skulpturen, ebenfalls vom Minmalismus und Landart beeinflusst, fügen sich nahtlos an David Nash's Werk an. Viele seiner Werke sind fest in Landschaften installiert wie im Schönthal, Eschborn oder verschiedenen Skulpturenparks.  Sein zeichnerisches Werk ist dabei fast ebenso raumgreifend wie seine Bildhauereien. Vor allem die geschwungene, an eine liegende Acht anmutende Form kehrt immer wieder. Sie umschreibt einen erheblichen Radius, der sich in der Mitte verbindet, um sich dann wieder zu weiten. Balance und das Spiel mit Licht und Schatten, die in seinen Objekten fast wieder zu Zeichnungen werden, sind maßgeblich als Wirkung eingesetzt. Der Natur etwas 'künstlich' Gestaltetes beizugesellen, das sich in ihr - den verschiedenen Landsschaften als Umgebung - abhebt und sich gleichzeitig in ihr ausdrückt, als verstandenes Prinzip von Natur - scheint der Antrieb von Nigel Hall's Skulpturen zu sein. 

Nigel Hall: "Wilde Passage" (Stahlplastik im Vordergrund)
Zeichnung von Nigel Hall - ohne Titel
Mit der Position des Malers Matthew Radford wird die Schau komplettiert. Radford zeig in seinen Malereien vor allem den Phänotyp von Stadt und Natur. Sie ist die konventionellste Position der Ausstellung, mit dessen Bild "Red Bus II" denn auch verständlicherweise auf dem Ausstellungsplakat geworben wird. 
Matthew Radford: "Red Bus II"
Die "Park Paintings Series" an der grün gestrichenen Wand sind plakativ und wären verzichtbar gewesen, weil sie allzu banal sind. Sie flachen gegenüber den Werkserien der anderen Künstler deutlich ab.
Matthew Radford; "Park Paintings Series" (Ausschnitt)
Eine echte Überraschung zum Schluss ist die geheimnisvolle Präsentation von May Cornet's "All the O's in Italian", eine wesentlich frühere Arbeit der Künstlerin (1998) als ihre Installation "From Now On" von 2006. Penibel hat sie alle Buchstaben O aus italienischen Zeitungen ausgeschnitten. Die so durchlöcherten Zeitungen hängen in einem eigens dafür gebauten teils verglasten, hinterleuchtetem  Oktogon im Spiegelsaal des Gebäudes und wirken wie kostbare Spitzenstickereien.
May Cornet: "All the O's in Italian"
Was das noch mit dem ansonsten konsequent durchgehaltenem Thema der Ausstellung zu tun hat, ist völlig egal, weil man einfach begeistert ist von der Ästethik der Arbeit. Qualität und Originalität werden freiwillig und gerne fraglos hingenommen. Eine Erläuterung zu diesem Werk habe ich dennoch im Netz gefunden, auf einer  chinesischen Webseite im world wide web
May Cornet: "All the O's in Italian"
"In Mary Cornet's exhibition of photographs and embroidery at the Crafts Council Gallery, London, UK, May 2000, the author finds an interpretation of how in a capitalistic society and consumer culture the craft can be separated from its concept. An example of this is the village of Burano, Italy, which is exploited for its history of lace making to such an extent that the 'authentic' lace souvenirs are made in factories in Taiwan, rather than by the hand lace workers that still ply their trade. These ladies are photographer by Cornet to reveal their anonymity. Other examples of work include Punto in Aria which confirms the process rather than product, and All the Os in Italian which in its creation creates lace out of a piece of Viennese broadsheet newspaper when its letter 'o's are excised."
May Cornet: "All the O's in Italian"

Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen