Großformatige Zeichnungen von
Katrin Günther - Professorin für Darstellen und Gestalten an der Uni Konstanz - zeigt der
Anhaltische Kunstverein Dessau noch bis zum 21. Februar. In nüchternen, penibel gesetzten dünnen Tuschezeichnungen entfaltet sich ein bestürzendes Gewirr von Linien, das teils abwärts ins Bodenlose führt, teils rasante Kurvenlagen hinlegt. In einer landschaftslosen Landschaft, ehemals wohl Brachen, hat sich neues Leben um einen Abgrund herum formiert.
Winzige Häuschen schweben auf dünnen Gestellen aus Stahl(?), Holz(?), vermutlich auf architektonischen Überrresten einer Katastrophe, die teils wie improvisierte Leitern aussehen. Die fragilen Konstruktionen, in denen diese neuen Behausungen wie auf Gerüste gestellt sind, dienen dazu, den Riesenkrater, den diese Katastrophe oder menschliches Eingreifen in die Landschaft gerissen hat, abzustützen und gleichzeitig mit ihnen einer Neuorientierung nach dem 'Beben' zuzuführen. "aufstieg" heißt deshalb auch der Titel der Ausstellung, den man aber erst einmal als recht widersprüchlich empfindet.
Diese Neubestimmung, der "Aufstieg" birgt offensichtlich Chancen für eine neue Form der Zivilisation, wenn auch einer recht beschwerlichen. Sie erinnert teils an die prekären Hütten von Slumbewohnern, die sich - abgedrängt von den urbanen Zentren - an Abwässern, Klippen oder auf Müllhalden einrichten. Der Hintergrund zu diesen Zeichnungen ist hier aber der Braunkohleabbau in der Lausitz. Seit ihrer Kindheit hat Katrin Günther - ausgebildete Architektin - mit dieser zerklüfteten Tagebaulandschaft zu tun. Zur Rekultivierung dieser nach dem Abbau hinterlassenen Brachen startete die
Internationale Bauausstellung (IBA) in der südbrandenburgischen Lausitz ein Experiment, das sich die Frage stellte, wie man diesen verheerenden Orten eine neue Identität für die Zukunft geben könnte. Dazu organisierte die IBA verschiedene Werkstätten, Konferenzen und Ausstellungen. Dadurch angeregt öffnete 2002 die
Kunstscheune in Pritzen, die in zwei Kunstbiennalen ein Forum für internationale Künstler ins Leben rief, die zu diesem Thema inmitten eines verlassenen Tagebaugebiets intensiv arbeitete. Katrin Günther begleitete diese Projekte damals, was sie zu den fiktionalen Raumgebilden in ihren Zeichnungen inspirierte.
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Katrin Günther: "Die Erben des Hutmachers", Tusche/Acryl auf Papier, |
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Wenig heimelig, seriell und kalt wirken die neuen Wohnformen in diesen Kraterlandschaften; wie Skizzen für einen Science Fiction Film, in dem der Mensch nur am Rande als übriggebeliebenes Wesen vorkommt, der sich mühsam an das letzte Stück Existenzraum festkrallt, das ihm geblieben ist - sich ihm vielmehr völlig einpasst, um noch existieren zu können. Aber "Was ist ein Ort, der beständig ist?" fragen Denise Dih und Katrin Günther in ihrem Text "Die Eroberer und das Flussbadprojekt", der im Katalog zur Ausstellung zitiert wird:
"Was ist ein Ort, der beständig ist, sich nicht verwandelt, immer gleiche Sicherheit, Vertrautheit und Orientierung bietet, Raum der grundsätzliche und permanente Gewissheit gibt, immer - und immer gleich. Diesen Raum gibt es nicht (...) "
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Katrin Günther: "Falling Water", Tusche/Acryl auf Leinwand, 100 x 140 cm, 2013 |
Anders als in der oft anklagenden und gerne auch moralisierenden Kunst zu ökologischen Themen wird hier der Blick nach vorne gewagt, über den Abgrund hinweg und in die Zukunft gedacht. So wird Kunst zum Denkraum. Wie auf dem Reißbrett hat Katrin Günther mit der Präzision von architektonischen Entwürfen die Potenz dieser Räume und gleichzeitig ihre tiefgreifende Verletzung eingefangen und ins Visionäre getrieben.
Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch
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