Schon immer wurde mit und am menschlichen Körper gearbeitet, nicht nur in der Medizin, aber vor allem dort. Das
Sezieren von Leichen war eine Zäsur im Verständnis des körperlichen Innenlebens - allerdings erst, als das scholastische Denken des Mittelalters überwunden war und an dessen Stelle empirisch-experimentell geforscht werden konnte. Eine ähnliche Zäsur setzt heute das digitale Zeitalter, die die medizinische Forschung mit ihren bildgebenden Mitteln enorm voran getrieben hat. Diese Entwicklung künstlerisch zu verarbeiten, die ja selbst von der Digitalisierung profitiert und sich dadurch formal wie inhaltlich verändert hat, war nun dem
Kunstverein Frankfurt eine Ausstellung unter dem Titel "Körper–Ich: Körper im Zeitalter digitaler Technologien" wert, die noch bis zum 10. Januar 2016 zu sehen ist.
Vor allem Unbehagen ist der Tenor der meisten Arbeiten der Künstler, die hier kuratiert wurden. Manipulation und Unterwerfung unter eine Maschinenwelt, die unsere Erfinderintelligenz in sich trägt, aber uns nun verselbstständigt gegenüber tritt, scheint der neue Frankenstein-Virus zu sein.
Wie Handlanger bedienen wir computerisierte Systeme, an die wir
hochkomplexe Vorgänge delegiert haben. Das wird vor allem bei
Yuri Ancarani's Video "Da Vinci" deutlich, das eine Operation zeigt, die
mithilfe hochspezialisierter Maschinen ausgeführt wird. Das ebenfalls
hochspezialisierte Team der Ärzte und OP-Helfer bedient die metallischen
Greifarme, die viel präziser als menschliche Hände in
Gewebe im Innern des Köpers eindringen, Geschwüre zerschneiden und
entfernen können. Das Video inszeniert diese Maschine als kalt und
monströs, die Ausführenden der OP sind in ihrer Berufskleidung ebenfalls
kaum als Menschen fassbar.
Das wurde nicht zuletzt bei der Ebola-Epidemie deutlich, wo Helfer in ihren Schutzkleidungen als Geister und Überbringer westlicher(!) Krankheiten angegriffen und teils sogar getötet wurden. Leonardo da Vinci, nach dem dieses Video benannt ist, zeichnete übrigens detailgetreu und an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst erste anatomische Einblicke, die er aufgrund von Obduktionen gewonnen hatte.
Völlig aseptisch geht es im Video von
Kate Cooper "RIGGED" zu. Eine weibliche Figur zeigt sich in verschiedenen Posen. Eine weichgespülte, ebenfalls weibliche Stimme kommentiert und wiederholt vor allem den Slogan
"Dissapear completely" - der biologische Charakter allen Körperlichen, das Nicht-Makellose, Unperkfekte und vor allem das Altern und das Verletzliche allen Lebens schlechthin wird hier zugunsten eines hpyerrealen
Models in einer digitalisierten Nicht-Umgebung ausgeblendet.
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Videostills aus "RIGGED" von Kate Cooper |
Zweifellos geht es hier um Schönheitsmodelle weiblicher Körper im modisch-sportlichen Outfit. Dabei sollen die Köperbewegungen dieser
Digipuppet irgendetwas zwischen Yoga und Fitness suggerieren, etwas vom gesunden Leben, das uns in allen Modejournalen und Werbeplakaten entgegengehalten wird. Sie sind - das thematisiert Kate Cooper auf plakative Weise - nur selbstverliebte Bewegungen in einer aseptischen Welt perfekter Zurichtungen.
"Hypercapitalism" nennt
Jeppe Ugelvig das in ihrem Text zu Coopers Video
"RIGGED" und weiter bei Ugelvig:
"The work of British artist Kate Cooper inspires immediate physical and aesthetic attraction. A hybrid of consumer associations, ranging from the glossy iconography of the TV commercial and the sterility of video game graphics to the luminosity of the department store poster and the smell of freshly opened cosmetics, create a subconscious lure. ...As technology increasingly vivifies the virtual body, traditional points of feminist critique become difficult."
Um Zurichtung von Körper geht es auch in
Thomas Thwaites Arbeiten, allerdings viel handwerklicher und irgendwie mittelalterlich. Die Anatomie einer Berggemse soll das Modell für eine Prothese werden, die den menschlichen Körper darin einzwängen kann, damit dieser in ihrer Haltung - allerdings ohne ihre Beweglichkeit - zur Gemse mutieren kann.
"I.Goat" heißt seine Fotoserie dazu, in der er mit dieser Prothese wie eine von diesen Tieren unter ihnen für 3 Tage lebt und von ihnen - so im Blog von
Matthew Braga mit dem Titel
"This Man has been trying to live Life as a Goat" - bereits als einer der ihren angenommen wurde. Das erzählen auch Tierdokumentarfilmer, die monatelang für ihre Aufnahmen auf der Lauer liegen und sich so ihrer Umgebung angleichen und damit nicht mehr als Fremdkörper wahrgenommen werden. Keine neue Erkenntnis also durch Kunst, aber hier und vor allem im Blog recht spektakulär aufgezogen, vor allem wenn man bedenkt, dass Thwaites nur eine knappe Woche als Ziege ausharrte. Von einem nachhaltigen
Retreat kann hier also keine Rede sein, eher von einem medial gut begleiteten Kunstprojekt.
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Videostill aus dem Video zur Herstellung der Prothese von Thomas Thwaites |
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Prothese von Thomas Thwaites "I.Goat" |
Der Titel
"I.Goat" erinnert an die berühmte SF-Erzählung Asimovs von 1950
"I, Robot",
die 2004 auch - reichlich verfälscht - verfilmt wurde. Hier versetzt sich ein Robot in menschliches Leben und entwickelt Gefühle.
"I.Goat" ist die
einzige Arbeit in der Ausstellung, die weniger düster als humorvoll ist.
Mühsam ist das Unterfangen, sich einem anderen biologischen Wesen
anzunähern, aber es auf der körperlichen Ebene durch Nachahmung der
(Lebens)Haltung zu versuchen, ist immerhin ein künstlerischer
Totaleinsatz des Körpers. Aber noch ein anderer Aspekt kommt nach Aussage des Künstlers hinzu: Die Sehnsucht nach dem einfachen Leben - herumlaufen, grasen, schlafen. Nicht alle Menschen strebten nach Fortschritt, Effizienz oder mehr Intelligenz. Genau um dieses Mehr am menschlichen Potential geht es ja hautpsächlich in den anderen ausgewählten Arbeiten.
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"Holiday from Humanity", Fotoarbeit von Thomas Thwaites |
Sehr viel Zeit muss man aufbringen, um die fünf aufwändig im Raum angebrachten
Flatscreens mit dem Titel
"The Common Sense" von Melanie Gilligan nachvollziehen zu können. Jede der durchdesignten Bilderschnipselgeschichten, die sich in den fünf verrätselten Erzählsträngen ausbreiten, scheinen in einem Experiment oder einer Art Workshop zu spielen, die Menschen per Digitalisierung in einen
"Common Sense" bringen sollen. Die verschiedenen Teamleiter fungieren als einzige Kontaktpersonen, kommuniziert wird nicht miteinander, sonder nur nach 'oben' mit den
Coachs und per Videobotschaften, die teils wie gläsern im Raum stehende SMS aussehen und die Teilnehmer über ihren jeweiligen Stand des
"Common Sense" informieren. Alle sind permanent
online und tragen ständig eine Art Schaltkabel bei sich, das in den Videos aber nicht sichtbar wird. Stattdessen wird sehr oft von einem
patch gesprochen, der auf die immer wieder nötig werdenden Aktualisierungs-, Bestätigungs- und Reparaturvorgänge verweist.
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Videostill aus "The Common Sense" von Melanie Gilligan |
Eine Arbeitsplatzsituation beschreibt die Überwachung am deutlichsten: Dort hält ein Aufseher eine Frau in einer extrem designten Cafeteria an, ihren 'patch' anzuschalten und droht ihr mit Entlassung, falls sie sich dieser permanenten Erreichbarkeit entzöge.
"Die Themen, die Melanie Gilligan verhandelt, sind aktuell, brisant und politisch: Globalisierung, Kapitalismuskritik, krisenhafte Subjektivität", schreibt Magdalena Kröner in ihrer Kritik zu Gilligans Arbeiten im Kunstkritikmagazin frieze. "Die Bildästhetik, derer sie sich ... bedient, ist gerade sehr in Mode:
die Nutzung wenig spezifischer Bilder, das Sampling von Bildsprachen aus
Reality-TV und Teleshopping-Kanälen, das Verwenden von
Preset-Schnitteffekten."
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Videostills aus "The Common Sense" von Melanie Gilligan |
Die meisten Teilnehmer, die hier zusammengeschaltet werden sollen, sind im Alter von 25 und 35 Jahren - dem begehrtesten Alter für den kapitalistischen Markt. Sie sind mit den digitalen Technologien groß geworden und gehen selbstverständlich mit der Verwischung von Arbeits- und Privatsphäre um. Sie befinden sich mehr im 'Netz' als im realen Kontakt. Das alles wird angerissen, teils umständlich aufgefaltet bis hin zu Babies, deren 'Ankunft' per Videobotschaft angekündigt werden. Biologisch ist hier scheinbar längst nichts mehr. Neben all diesen kryptischen, sich verkomplizierenden Erzählhäppchen ensteht durch diese Arbeit der kritischste Ansatz zum Thema der Ausstellung "Körper im Zeitalter digitaler Technologien". Von einem Ich kann hier kaum mehr die Rede sein. Dieses löst sich auf im turbokaptitalistischen Slogan des
"Common Sense" und hinterlässt arrogante und verstörte, kontaktunfähige und an den Markt vollkommen angeschmiegte Wesen.
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Installationsansicht der Videoarbeit "The Common Sense" von Melanie Gilligan |
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Alle Fotos aus der Ausstellung von Ina Zeuch
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