Montag, 4. Januar 2021

Geschichten aus der Sklaverei :

Born in Slavery - Die Aufzeichnungen von Linda Brent ( Teil 2 )

Der transatlantische Sklavenhandel wurde zur größten Zwangsumsiedlung der Menschheit, bei der schätzungsweise elf Millionen Menschen zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert  in die Neue Welt und nach Europa verschleppt wurden. Dieses immense Ausmaß konnte von den Opfern naturgemäß kaum dokumentiert werden. Dennoch gibt es einige wenig bekannte, spärliche Zeugnisse von Betroffenen.
 
Fußfessel für Sklaven, Musée de la civilisation.celtique / Bibracte, Frankreich.Foto: wikimedia, Quelle Urban
In einer mehrteiligen Serie zum Sklavenhandel und ihren unterschiedlichen Folgen habe ich bereits  einige dieser Zeugnisse vorgestellt - so die Die Prinzen von Calabar des Historikers Randy J. Spark, der den spannenden Briefwechsel zweier irrtümlich in die Sklaverei verschleppter, nigerianischer Sklavenhändler in historische Zusammenhänge bringt oder die Aufzeichnungen Jan Stedmans, der fünf Jahre lang in Surinam Sklavenaufstände im Namen der britischen Krone niederschlug.  In ihnen wird dieses belastende Thema weg von der bloßen Aufzählung geschichtlicher Fakten hin zu anschaulichen Geschichten von Einzelschicksalen verlagert, die trotz ihrer Einzigartigkeit, aber gerade durch ihre unterschiedlichen Perspektiven erhebliche Teile des blutigen Geschäfts beleuchten.
In ihren Aufzeichnungen "Deeper Wrong or Incicdents in the Life of a Slave Girl" von 1862 beschreibt Linda Brent ihr Sklavenleben als Besitz von Dr. Flint und seiner Frau in North Carolina, die sie derart quälen, dass sie sich zur Flucht entschließt (s.Teil 1)

Linda flieht - zunächst erfolglos und mit der Hilfe eines schwarzen Helfers - durch die Sümpfe und hinterlässt ihre beiden Kinder unter größten Gewissensqualen  in der Obhut ihrer Großmutter. Sie weiß, dass diese ein Faustpfand in den Händen ihres Besitzers ist. Sie übersteht die Sümpfe nicht, ein Schlangenbiss zwingt sie in der folgenden Nacht zur Rückkehr, die ihr tatsächlich untentdeckt gelingt. Sie findet Unterschlupf bei einer Freien in unmittelbarer Nähe zum Gut der Flints. Ihre Großmutter und deren Freundinnen  pflegen sie gesund,  verstecken  und versorgen sie - ganze sechs Jahre lang! Ihre Kinder dürfen nichts von ihrer Rückkehr wissen, um sie nicht zu verraten, auch muss die Versorgung und das Überbringen von Nachrichten über die rastlose Suche nach ihr höchst geheim erfolgen.  
 
Alabama River Swamp, Author Bill Sutto, wikmedia commons
 
Was Lindas Aufzeichnungen für uns Nachgeborene am wertvollsten macht, sind ihre eindringlichen Schilderungen der Lebensbedingungen von Ex-Sklaven in der sogenannten freien Welt, weil sie so wenig bekannt sind. Die Sümpfe der Südstaaten waren der elende Tod vieler flüchtenden SklavInnen wie das Mittelmeer für die heutigen Geflüchteten. Die Bluthunde der Menschenjäger tun dabei ihr Übriges. Gescheiterte Fluchtversuche, der zu Tode gehetzten, von Hunden zerfleischten KameradInnen dürften der Tiefpunkt im Leben der SklavInnen gewesen sein. Ein weiteres, ähnlich schlimmes Trauma ist die vielfach beschriebene Angst vor dem Verkauf der eigenen Angehörigen, am schlimmsten die der eigenen Kinder, die auch Linda Brent ausgiebig beschreibt. 

Ihre erneute Flucht gelingt und ihre Ankunft in New York gestaltet sich ausgesprochen positiv und ist von den kirchlichen Vertretern der Abolitionisten gut vorbereitet. Das Netzwerk in den Nordstaaten funktioniert gut. Sie erfährt von ihrer Tochter Ellen, die schon vor ihr geflohen ist und  die in Philadelphia in Stellung als Dienstmädchen arbeitet. Später stößt auch ihr Sohn Billy hinzu und sie sieht ihren Bruder William wieder, der nach mehreren gescheiterten Fluchtversuchen und drakonischen Strafen bereits vor vielen Jahren den Sprung in den Norden geschafft hat. Darum hält sie nichts in New York und sie zieht weiter nach Philadelphia, um bei ihrer Tochter zu sein.

Erschüttert stellt sie fest, dass Ellen weiter als Sklavin angesehen wird, eine Geflohene, die immer noch kein Recht auf ein freies Leben hat. Sofort entsteht in ihr der Wunsch, sie freizukaufen. Sie selbst findet Anstellung bei einer Mrs. Bruce und aufgrund der Behandlung ihrer Tochter als Unfreie gibt sie sich selbst als Freie aus, um nicht ebenfalls weiterhin als Sklavin gedungen zu werden. Auch erkämpft sie für ihre Tochter Unterricht in Lesen und Schreiben, die sie aus eigener Tasche finanziert. 

Mit Mrs. Bruce unternimmt sie auch Ausflüge in die nähere Umgebung. Dabei stellt sie fest, dass sie weiterhin als 'Negro' behandelt wird und nicht gleichberechtigt neben ihrer Dienstherrin sitzen und bewirtet werden darf. Um so bitterer ist diese Erkenntnis der fortdauernden Diskriminierung als sie u.a. von einem schwarzen Angestellten des Platzes verwiesen wird. Abteilungen nur für Schwarze gibt es zu dieser Zeit noch nicht. Das Apartheidregime war noch nicht institutionalisiert. Linda Brent will sich aber durch nichts in ihrer Menschenwürde einschränken lassen und greift in ihrem Protest der Weigerung Rosa Parks  vor, die im Bus nicht mehr ihren Platz verlässt, der nur für Weiße reserviert ist und damit die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre auslöste.
  • Rosa Parks being fingerprinted on February 22, 1956, by Lieutenant D.H. Lackey as one of the people indicted as leaders of the Montgomery bus boycott,wikimedia commons
Die Spannungen zwischen den Nord- und den Südstaaten der USA nehmen zu. Immer mehr freigekaufte ehemalige Sklavinnen sowie Geflohene erreichen den Norden und die Sklavenhaltergesellschaft wird brüchiger. Auch erstarkt die Abolitionistenbewegung, die überwiegend von der weißen Bevölkerung getragen wird, die mit dem Christentum argumentiert. Kein Christ darf eine Ware sein, somit ist das Verbot der Sklaverei für die Abolitionisten kein allgemeines Menschenrecht - die Menschenrechte werden erst 1948 als Folge des Zweiten Weltkrieges formuliert. Nur für die zum Christentum konvertierten SklavInnen wird die Menschenwürde zugestanden - von gütigen weißen Kirchenvertretern verliehen. So wird sie für die verschleppten Menschen eine starke Triebfeder, scharenweise zum Christentum überzutreten, um damit ein Anrecht auf Freiheit zu erlangen. 

Ein ähnlicher Anreiz entsteht bei der Rekrutierung für die Sezessionskriege, bei der Sklaven, denen die Freiheit versprochen wird, als Soldaten angeheuert werden. Sie sollen gegen die Nordstaaten kämpfen, die die Sklaverei aus ökonomischen Gründen abschaffen wollen - ein besonders bizarrer Umstand, als Sklave für den Fortbestand der Sklaverei zu kämpfen.

James Hamlet, first person returned to slavery through the Fugitive Slave Law of 1850, in front of New York City Hall, 17, October 1850, public domain

Auch in Philadelphia ist Linda Brent immer noch nicht vor den Nachstellungen Dr. Flints sicher. Er hat herausgefunden, wohin sie geflohen ist und lässt ihr einen Brief zukommen - angeblich von seiner Nichte geschrieben - in dem in heuchlerischem Ton um ihre Rückkehr gebeten wird, nicht ohne den Versuch, sie mit ihrer kranken Großmutter zu erpressen. Ohne sich zu verabschieden verlässt sie daraufhin ihre Stellung und flieht nach Boston. Trotz der Güte ihrer Arbeitgeberin Mrs. Bruce, kann sie sich nicht entschließen, ihr die Wahrheit zu offenbaren. Inzwischen gibt es ein Gesetz, dass die weiße Bevölkerung aufruft, geflohene SklavInnen zu denunzieren. Dies ist zunächst ein Zugeständnis an die Südstaaten, wo man ja für die 'Ware' bezahlt hat und nun um diese geprellt wird - ein Argument, dass in einer Gesellschaft, die sich gerade zunehmend kapitalistisch entwickelt, als rechtsgültig anerkannt wird. Linda und mit ihr viele andere ducken sich angstvoll unter diesem 'Bluthundegesetz‘, vermeiden die Öffentlichkeit, fürchten die Hehler und die Polizei, die sie erneut in die Sklaverei bringen können.


Bostoner Plakat aus dem Jahre 1851, das entflohene Sklaven davor warnt, dass sie mit Hilfe der Polizei zu ihren früheren Besitzern zurückgebracht werden könnten, public domain    

Schweren Herzens entschließt sie sich nun doch, Mrs. Bruce ihre Lage zu gestehen, auch dass sie erneut gesucht wird, um sie wieder als Sklavin gefangen zu nehmen und wie sehr man ihr bereits auf der Spur ist. Nichts verwindet Linda Brent weniger, als dass Mrs. Bruce die Verhandlungen mit der Flint-Familie und der inzwischen volljährigen Nichte Dr. Flints aufnimmt und um ihren Kaufpreis zu feilscht. Auch, als sie trotz ihrer Weigerung, 'gekauft' zu werden, für 300 Dollar 'erworben' wird, um unbehelligt als Freie leben zu können und nicht, um zum Besitz von Mrs. Bruce zu werden kann, erbittert sie bis zum Schluss ihrer Aufzeichnungen: Die Tatsache, dass sie auch in der sogenannten freien Welt nur 'frei' wird, als man sie als Ware behandelt  und freigekauft hat. Sie zeigt mit ihren ungeschminkten Beobachtungen auf, dass auch die Nordstaaten den Schwarzen  keine Gleichberechtigung einräumt - bis heute! Trayvon Martin, Breonna Taylor und George Floyd - von der Polizei ermordet - sind Zeugnisse über einen großen Teil der weißen Bevölkerung, die sich nicht damit abfinden kann, dass die Nachkommen der SklavInnen nun zur US-amerikanischen Gesellschaft gehören. 

Die Bewegung Black Lives Matter macht deutlich, dass es eine direkte Verbindung zum  Kampf der befreiten SklavInnen um ihre Rechte gibt, einem Kampf, der vor fast 250 Jahren begonnen hat und den rassistischen Charakter der US-amerikanischen Gesellschaft immer noch nicht überwunden hat. Das ist umso beschämender, als die afroamerikanische Community ihre eigene beispiellose  Kultur entwickelt hat. Ihre internationalen Einflüsse vor allem in der Musik  sind der überwiegend weißen, hochgejubelten Popkultur nur Wenigen bewusst. Dies könnte ein Teil der amerikanischen Identität sein, auf die die USA zu Recht stolz sein könnte. Sie könnte damit auch dem Teil ihrer Geschichte konstruktiv begegnen, die von Unterdrückung geprägt ist: Den Sklavenhaltergesellschaften der Südstaaten. Der Genozid an der Urbevölkerung, deren Nachkommen bis heute in den Reservaten leben,  bleibt damit noch völlig unbearbeitet.

Zur teils wenig bekannten musikalischen Tradition von AfroamerikanerInnen hier zwei Beispiele mit den sogenannten 'marching bands' aus den Südstaaten der USA: 



Hier noch ein Link zu über 150 black owned bussiness-Adressen - einer Webseite, die afo-amerikanische Firmen und Geschäfte unterstützen möchte, die gegengüber ihren weißen Counterpartnern deutlich benachteiligt werden.

"There’s one simple thing you can do right now to help: Shop at Black-owned businesses whenever you can."


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